Berliner Morgenpost: Eine notwendige Debatte - leider viel zu spät geführt -Leitartikel
Berlin (ots)
Es war eine Sternstunde des Parlamentarismus: Die Sondersitzung des Brandenburger Landtages, die den Stasi-Verstrickungen in der rot-roten Koalition unter Ministerpräsident Matthias Platzeck gewidmet war. Die Redebeiträge vieler Abgeordneter zeichnete eine Ernsthaftigkeit aus, die dem heiklen Thema der Vergangenheitsaufklärung einer Diktatur angemessen war und die heutzutage in politischen Debatten höchst selten anzutreffen ist. Beeindruckend war beispielsweise die Rede der FDP-Nachwuchspolitikerin Linda Teuteberg, die noch die Grundschule besucht hatte, als das SED-Regime kollabierte. Sie erinnerte zu Recht daran, dass man jungen Menschen nicht Zivilcourage beibringen könne, wenn die Täter von einst hofiert würden und die Opfer von damals kein Gehör fänden. In Brandenburg müsse endlich mehr über jene geredet werden, die unter schwierigen Verhältnissen anständig geblieben seien. Auch Platzeck, der den geschichtspolitischen Diskurs mit einer halbstündigen Regierungserklärung eröffnet hatte, sagte manches, was Respekt verdient. Dazu gehörte, dass er eigene Fehler eingestand. So sei es falsch gewesen, dass Brandenburg als einziges der ostdeutschen Bundesländer die Stasi-Überprüfung der Landtagsabgeordneten Anfang der 90er-Jahre abgeschafft habe. Gleichzeitig aber machte es sich Platzeck, lange die Lichtgestalt der ostdeutschen Sozialdemokratie, mitunter viel zu leicht. Er lastete die Stasi-Krise seiner Koalition ganz allein zwei Abgeordneten der Linksfraktion an, die ihre Zusammenarbeit mit dem DDR-Geheimdienst verschwiegen hätten. So einfach lässt sich der tiefe Schlamassel, in dem Rot-Rot steckt, freilich kaum erklären. Damit nicht genug: Vollends daneben lag Platzeck mit seinem Generalangriff auf die CDU und die Medien. Es stimmt ja, die Christdemokraten im Osten haben ihre Vergangenheit als Blockpartei an der Seite der SED nur unzulänglich aufgearbeitet. Aber sie haben - und das ist der entscheidende Unterschied zur Linkspartei - einen klaren Trennstrich gezogen: Ehemalige Stasi-Mitarbeiter werden weder in Landtagen und noch im Bundestag geduldet. Die Medien wiederum mögen bei der Schilderung der Stasi-Fälle in der Potsdamer Linksfraktion mitunter etwas übertrieben haben, doch sie erst setzten die Debatte überhaupt in Gang. Verfehlt ist es in diesem Zusammenhang deshalb auch, die Birthler-Behörde zu attackieren. Ihr unterstellt Platzecks Partei, sie habe Akten dosiert an Journalisten gestreut. Das ist schon deshalb absurd, weil die Herausgabe der Unterlagen streng nach jenem Gesetz erfolgte, das von allen demokratischen Parteien im Bundestag beschlossen worden ist - ausgenommen der Linkspartei. In aufarbeitungspolitischer Hinsicht ist Brandenburg in ein Entwicklungsland geblieben. In der "kleinen DDR" wollte man den Mantel des Vergessens über die Vergangenheit legen. Das rächt sich nun, und deshalb werden jetzt Debatten geführt, die andernorts schon vor zehn Jahren abgeschlossen worden sind.
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