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Berliner Morgenpost: Die Kanzlerin muss aus der Deckung und führen - Leitartikel

Berlin (ots)

Wie stolz waren sie auf ihren Rekord. In nur drei
Wochen hatten CDU, CSU und FDP den gemeinsamen Koalitionsvertrag 
ausgehandelt. Dass Schnelligkeit nicht immer zum Erfolg führt, hat 
die schwarz-gelbe Koalition bestätigt. Selten ist der Start einer 
Koalition so vermurkst worden wie jetzt von Angela Merkel, Horst 
Seehofer und Guido Westerwelle. Und Besserung ist nach den 
Selbstfindungstreffen der Liberalen in Stuttgart und der 
Christsozialen in Kreuth nicht in Sicht. Auch deshalb wollen sich am 
übernächsten Sonntag die Duzfreunde Horst und Guido zum gemeinsamen 
Krisen-Abendessen bei ihrer Duzfreundin Angela im Kanzleramt treffen.
Jetzt rächt sich, dass die Koalitionsverhandlungen einem 
Schweinsgalopp glichen. Statt vorab auf Gründlichkeit, damit auf ein 
festes Fundament bis 2013 zu setzen, wurden alle wesentlichen 
strittigen Punkte - von der Gesundheits- über die Steuerreform bis 
zum jetzt auch offenkundigen Disput über den EU-Beitritt der Türkei -
im Vagen gehalten und damit je nach Interessenlage interpretierbar. 
Die Politikfelder wurden punktuell abgehakt, ohne sie zu einem 
Ganzen, zu einer Zielmarke, zu einem gemeinsamen Projekt für die 
erste bürgerliche Koalition nach elf Jahren zusammenzufügen.
Wofür steht diese Koalition eigentlich? Beim Stuttgarter 
Dreikönigstreffen hat zumindest Westerwelle für die Liberalen eine 
Antwort gegeben. Die FDP strebt eine "geistig-politische Wende" an. 
Soll heißen: mehr bürgerliche Entscheidungsfreiheit, aber auch mehr 
Selbstverantwortung; weniger Staatsbevormundung und damit weniger 
staatliche Rundumversorgung.
Eine Antwort, die die sich noch als Volkspartei fühlende CDU und in 
Bayern die CSU schwerlich mittragen wollen. Beide müssen, anders als 
die Liberalen, die unverändert vor allem die "Besserverdiener" im 
Auge haben, auf Gesamtvolkes Stimme hören. Die ist nach neuen 
Umfragen mehrheitlich sogar eindeutig gegen Steuersenkungen. Kein 
anderes Ergebnis ist zu erwarten, wenn demnächst bei der 
Gesundheitsreform die FDP auf eine größere Selbstbeteiligung der 
Patienten pochen wird.
Wo so viel weniger zusammenpasst als vorab vollmundig versprochen, 
ist starke Führung gefragt. Die lässt Angela Merkel als Chefin des 
Dreierbündnisses vermissen. Sie muss endlich intern wie nach außen 
klarmachen, was sie will, wofür sie steht. Ihr Politikansatz der 
kleinen Schritte lässt keine klare Richtung erkennen. Zunehmend 
ratlos sind deshalb eigene Parteimitglieder wie Wähler. Dieses 
Führungsvakuum machen sich andere nutzbar - von Westerwelle über 
Seehofer bis zu den CDU-Landesfürsten.
Die Bundeskanzlerin muss aus der Deckung. Sie muss den Konflikt 
riskieren. Sie muss dieser Koalition endlich Richtung und Ziel 
weisen. Anderenfalls hat die Regierung die Unterstützung der 
Deutschen wieder verloren und damit schneller als gedacht die Macht 
schon wieder verspielt. Darüber sollten allerdings auch Westerwelle 
und Seehofer vor dem gemeinsamen Krisenmahl mit der Kanzlerin noch 
einmal gründlich nachdenken.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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