Berliner Morgenpost: Eine Offensive für die Afghanen - Leitartikel
Berlin (ots)
Großoffensive, gleich die ersten toten Zivilisten, Unschuldige, Entschuldigungen - die natürlich nichts entschuldigen - Tausende Flüchtlinge; die Begleiterscheinungen der neuen, großen Anti-Taliban-Offensive der USA sind ebenso düster wie erwartbar. Keine guten Nachrichten für diejenigen, die mit den dort Alliierten argumentieren, es gebe keinen anderen Weg mehr als diesen, um eines Tages tatsächlich wieder ein friedliches Afghanistan von stolzen und ungebeugten Afghanen selbst kontrollieren zu lassen. Und um wirklich sicherzustellen, dass sich das, was am 9. September 2001 von afghanischem Boden ausging, nicht wiederholen kann. Das sind die erklärten Ziele des alliierten Einsatzes am Hindukusch. Und wir dürfen uns aller Misserfolge und Tragödien zum Trotz immer mal wieder daran erinnern, dass Deutschland - damals vertreten durch den Bundeskanzler Gerhard Schröder - den Vereinigten Staaten für diesen Kampf seine uneingeschränkte Unterstützung zugesagt hat. Ein solches Versprechen darf unter Freunden nicht mal eben einkassiert werden, auch nicht nach neun Jahren, auch nicht, wenn es mühselig wird und elend und gefährlich. Schon gar nicht, wenn man sich die Geschichte betrachtet, die uns mit den Amerikanern verbindet und verbündet. Wir müssen und dürfen deswegen nicht unkritisch sein. Auch für die an diesem Wochenende begonnene Offensive der US-Truppen in der Provinz Helmand gilt, was von der Bundeswehr im Norden Afghanistans zu Recht eingefordert wird: Es ist alles, aber auch wirklich alles zu vermeiden, was Zivilisten, Frauen, Kinder, Ältere gefährdet. Deren Leib und Leben dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, deren mit einer derart brutalen Auseinandersetzung immer einhergehende Opfer dürfen nicht mit einem Schulterzucken quittiert werden. Ihnen muss geholfen werden - medizinisch, finanziell, humanitär und schnell. Der Einsatz der alliierten Truppen in Afghanistan muss zu jeder Zeit erkennbar ein Einsatz für die Afghanen sein, nicht gegen sie. Das ist nicht nur aus humanitären Gründen nötig oder weil es die Parlamente daheim im Trockenen so für richtig halten. Das ist auch militärstrategisch das Gebot der Stunde. Wenn sich die Mehrheit der Afghanen - die dem Einsatz der ausländischen Soldaten, nach allem, was wir wissen, noch immer einigermaßen positiv gegenübersteht - abwendet, ist dieser Krieg verloren, ganz unabhängig davon, wie viele Truppen man dorthin entsendet. Wer das Vertrauen, zumindest aber die Einsicht der Einheimischen verliert, der verliert den Krieg. Barack Obama, der mit seinem Befehl zur Großoffensive auch politisch ein hohes Risiko eingeht, weiß um diesen Umstand. Erfolg oder Misserfolg seiner Präsidentschaft werden am Ende aber davon abhängen, ob auch die Verantwortlichen vor Ort entsprechend klug, umsichtig und sensibel handeln wie man es dem Präsidenten selbst zutraut. Kein geringer Anspruch angesichts eines häufig aus dem Hinterhalt agierenden, skrupellosen Feindes.
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