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BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Ein Etappensieg für den Datenschutz

Berlin (ots)

Für die Sprache der Karlsruher Verfassungswächter
ist bisweilen ein Dolmetscher vonnöten - oder ein Philosoph. In der 
Begründung des Urteils zur Vorratsdatenspeicherung heißt es etwa: 
"Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und 
registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität 
der Bundesrepublik, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in 
europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss." 
Daraus lässt sich ein Bekenntnis gegen die Vorratsdatenspeicherung 
ableiten. Zugleich aber haben die Richter grundsätzlich nichts gegen 
eine "anlasslose" Speicherung von Telekommunikationsdaten 
einzuwenden, sofern EU-Richtlinie und die gestern aufgestellten 
Hürden beachtet werden. Innenminister Thomas de Maizière fasst den 
komplexen Karlsruher Spruch für Laien verständlich zusammen: "So 
nicht, aber anders."
Insofern ist der Jubel der Datenschützer verfrüht: Sie haben gestern 
gesiegt, aber auf Sicht nicht gewonnen. Zwar wird die bisherige 
Praxis für nichtig erklärt, aber nur, weil die Regelung mal zu 
schwammig, mal nicht strikt genug formuliert war. In Wirklichkeit hat
Karlsruhe, trotz aller Bekenntnisse zur Privatsphäre, einen 
Kulturbruch vollzogen. 1983 kippten die Verfassungsrichter das 
Volkszählungsgesetz mit dem Hinweis auf die "informationelle 
Selbstbestimmung" des Bürgers. Damit ist es nun vorbei. Die Richter 
wiesen darauf hin, dass der Staat ein begründetes Interesse an den 
Daten haben kann, wenn schwere Gefahr für Leib, Leben und Freiheit im
Verzug ist, für den Bestand oder die Sicherheit eines Landes oder zur
Abwehr einer allgemeinen Gefahr. Die Verfassungsrichter stellen klar,
dass es sich um einen Eingriff handelt mit "einer Streubreite, wie 
sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt." Für das Aufbewahren der 
Daten gelten strikte Regeln, zum Beispiel eine anspruchsvolle 
Verschlüsselung.
Es ist ein weiteres Indiz für die zerfahrene Koalition, dass 
Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und Innenminister de 
Maizière offenbar ganz unterschiedliche Ideen über die nächsten 
Schritte hegen. Während die Liberale gemächlich zu Werke gehen 
möchte, mahnt der Christdemokrat zur Eile. Schließlich gilt es, eine 
EU-Richtlinie umzusetzen. Lassen sich die Deutschen zuviel Zeit, 
droht Ungemach aus Brüssel.
Ganz nebenbei demonstriert der Richterspruch auch, wie eng die 
Spielräume der nationalen Gesetzgebung gesteckt sind. Die ewigen 
Korrekturen aus Karlsruhe, zuletzt bei Hartz IV, bieten Anlass, um 
die deutsche Gesetzgebungspraxis grundsätzlich zu überdenken. Anstatt
ein Gesetz wie einen Testballon steigen zu lassen in der Hoffnung, 
dass er fliegt, wäre es hilfreicher, sowohl 
Grundgesetz-Kompatibilität als auch EU-Belastbarkeit schon beim 
ersten Wurf mitzudenken. Dass nahezu alle umstrittenen Gesetze über 
Jahre im Karlsruher Flaschenhals stecken, um dann für unzureichend 
erklärt zu werden, wirft kein gutes Licht auf die Handwerkskunst der 
deutschen Gesetzgeber, sprich: Politiker.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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