Berliner Morgenpost: Rösler könnte auch Westerwelle retten - Leitartikel
Berlin (ots)
Während der schwer kritisierte FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister Guido Westerwelle zum Wohle Deutschlands mit seinem Lebensgefährten samt Wirtschaftsentourage durch Südamerika tourt, legt der nicht minder in die Schusslinie geratene liberale Gesundheitsminister Phillip Rösler an der Heimatfront erste konkrete Arbeitsergebnisse vor. Wenn er am Mittwoch seine Vorschläge zur Zähmung der Pharmaindustrie präsentiert, ist das hoffentlich der Beginn einer fortan sachlichen und nicht länger polemischen Auseinandersetzung über die überfällige Gesundheitsreform. Dies gilt für die Diffamierungen seitens der Opposition wie für die kaum minder verletzenden Koalitions-Streitereien. Der bislang unterschätzte Jungminister hat mit seinem Team offensichtlich härter und zielorientierter gearbeitet als die vielen Nörgler, Streithammel und ungebetenen Wichtigtuer im schwarz-gelben Lager, die die Regierung Merkel/Westerwelle schon nach nur vier Monaten eines Großteils ihres politischen Kredits beraubt haben. Dass das deutsche Gesundheitswesen mit jährlichen Gesamtausgaben von sage und schreibe 240 Milliarden Euro einer Überlebensoperation bedarf, wird von keinem Lobby-unverdächtigen Experten bezweifelt. Trotz eines Gesamtbudgets von mittlerweile fast einer Viertel- Billion Euro reicht das Geld entgegen den Versprechungen der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch immer nicht, werden die Beiträge nur einigermaßen stabil gehalten, weil aus Steuermitteln rund 16 Milliarden Euro ins System gepumpt werden - und im laufenden Jahr zusätzlich 3,9 Milliarden Euro, weil der Gesundheitsfonds nicht hält, was die große Koalition von ihm versprochen hat. Nicht zu verschweigen die von mehreren Not leidenden Krankenkassen obendrein erhobene "kleine" Kopfpauschale, die die jetzt gegen die "große" polemisierende SPD mit beschlossen hat. Keine Frage, das Gesundheitswesen muss genesen, wie es im Koalitionsvertrag auf Seite 103 - anders als von der CSU behauptet - auch angekündigt wird. Wenn Rösler jetzt als erstes der Pharmaindustrie ihre Grenzen aufzeigt, ihr Preismonopol bricht und ihr einen Nutzungsnachweis vorschreibt, dann ist das schon mal ein gewaltiger erster Schritt. Denn die Medikamente - ob mit Wirkung, Nebenwirkung oder ohne jede Wirkung - zählen zu den größten Preistreibern im siech gewordenen Gesundheitssystem. Eine mutige, ja demonstrative Initiative eines Ministers, dessen Partei bislang einer besonderen Nähe zu Unternehmen, speziell zur Pharmaindustrie verdächtigt wird. Wenn den stets so freundlich dreinschauenden, in der Sache offensichtlich knallharten Arzt aus Niedersachsen der Mut nicht verlässt, könnte er gar zum Retter seines Parteichefs werden. Guido Westerwelle wird es nach allem, was er im Hochgefühl des erklommenen Außenamtssessels angerichtet hat, schwerlich noch einmal gelingen, verspieltes Vertrauen außerhalb der Partei zurückzugewinnen. Rösler könnte das mit einer soliden Gesundheitsreform mehr als wettmachen. Und zum Leuchtturm in der eher glanzlosen FDP-Ministerriege werden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
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