Berliner Morgenpost: Obamas Mondlandung - Kommentar
Berlin (ots)
Mehr als 100 Jahre, nachdem US-Präsident Theodore Roosevelt als erster nach den Sternen griff und von einer Krankenversicherung für das Volk träumte, hat Barack Obama erreicht, was unter den Sozialreformen der USA der Mondlandung entspricht. Harry Truman ersehnte sie in den 50er-Jahren, Bill und Hillary Clinton wollten sie in den 90er-Jahren ertrotzen - alle scheiterten an der Beharrungskraft eines amerikanischen Selbstverständnisses, das Gesundheit und Versicherungsschutz als Waren wie andere begreift und alles Heil im Spiel der Märkte erkennt. Obama und 219 Demokraten im Kongress haben Versicherungsschutz zum Recht und Krankenversicherung zur Pflicht erhoben. Es ist ein Sieg für die Amerikaner und ein Sieg der Vernunft, wie der Präsident sagte. Ob er dafür belohnt oder mit dem Verlust seiner Mehrheiten im Kongress bestraft wird, wird sich zeigen. Nichts lässt erwarten, dass sich die Republikaner nach 14 Monaten des ideologischen Abnutzungskriegs gegen die "sozialistische Machtübernahme" des Gesundheitswesens geschlagen geben. Sie haben geschickt mit den Ängsten vor allem der älteren Bürger vor Veränderung gespielt und die Gesundheitsreform zum "Todesstoß gegen das Herz dieses Landes" stilisiert. So nannte es der Fraktionschef der Republikaner John Boehner in seinem letzten Appell zur Umkehr. Boehner und die seinen glauben tatsächlich, das "beste Gesundheitssystem der Welt" gegen Obamas feindliche Übernahme zu verteidigen. Dass dieses System bisher 46 Millionen Amerikaner ohne Versicherungsschutz und die Kosten weit über alle anderen Nationen hinausschießen lässt, flicht sie nicht an. Der Staat selbst ist nach ihrer Überzeugung der Tumor. Je größer er wird, desto tödlicher die Bedrohung für Amerika. In 14 Monaten und bis zur letzten Abstimmung haben die Republikaner keine Hand für eine Reform gerührt. Sie setzen darauf, dass sich Obstruktion auszahlt. Und sie könnten Recht behalten. Denn die Jahrhundertreform greift in ihren bedeutendsten Veränderungen erst von 2014 an. Erst in jenem Jahr werden 32 Millionen nicht versicherte Amerikaner Zugang zu einer Krankenversicherung erhalten. Erst dann wirkt die Verpflichtung, die Gegner für freiheitsberaubend und verfassungswidrig halten. Und erst dann sind die privaten Versicherer gesetzlich gehalten, auch Kunden mit diagnostizierten Krankheiten zu erschwinglichen Konditionen aufzunehmen, so wie ihnen ihre alte Gewohnheit, Kunden wegen der ersten ernsthaften Krankheit hinauszuwerfen, verboten sein wird. Vier Jahre sind lang, im Kongress rechnen sie wie Hundejahre. Von der Spardisziplin künftiger Kongresse wird es abhängen, ob die Kosten für die Reform im kommenden Jahrzehnt wirklich unter einer Billion Dollar bleiben und das Haushaltsdefizit entlasten werden. Präsident Obama und die Demokraten haben ihre Rechnung notgedrungen mit vielen Unbekannten machen müssen. Anders als die Republikaner haben sie erkannt, dass der Status quo eine asoziale Schande und längst unbezahlbar ist.
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