Berliner Morgenpost: Zwischen Hoffnung und Hiobsbotschaft (Leitartikel)
Berlin (ots)
Minus 0,7 Prozent Wirtschaftsleistung sind nicht schön. Aber dafür, dass die Welt die größte Krise seit acht Dekaden durchlebt, ist Berlin geradezu geschmeidig durch das Krisenjahr 2009 gerutscht. Mitten im unsicheren Jahr 2010 liegt die Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt im März so niedrig wie seit 1996 nicht mehr. Die Unkenrufe der sogenannten Wirtschaftsexperten haben sich zum Glück bisher nicht bewahrheitet, weder für die Hauptstadtregion noch für Deutschland insgesamt. Von den als Folge der Krise vorhergesagten fünf Millionen Menschen ohne Job ist das Land weit entfernt. In Berlin haben sogar 13000 Menschen mehr einen sozialversicherungspflichtigen Job als von einem Jahr. Die im bundesdeutschen Vergleich wirtschaftlich immer noch abgehängte Metropole hat in der Krise den Abstand zu den starken Regionen verkürzt. Manchmal hilft es, nicht zu sehr vom Export abhängig zu sein. Baden-Württemberg erlebte 2009 einen wirtschaftlichen Einbruch von mehr als sieben Prozent. Zuletzt waren es in Berlin einige eher kleine Entscheidungen, die die Hoffnung wecken, der positive Trend möge sich fortsetzen. Dabei geht es nicht nur um die ohnehin dynamischen Kreativunternehmen. Siemens baut ein Logistikzentrum für Turbinenteile südlich der Stadt. Ein Areal in Marzahn wird mit Fördergeld zum Produktionszentrum für Solarzellen hergerichtet. Daimler entwickelt und produziert in Marienfelde Elektromotoren einer neuen Generation. All das sind Bausteine, um die lange totgesagte Industrie in der Region wieder zu beleben. Wenn nun der Senat und der Regierende Bürgermeister das produzierende Gewerbe wieder als wichtiges Rückgrat der Stadtwirtschaft wahrnimmt, kann das nicht schaden. Dass das Pflänzchen des Aufschwungs in der Stadt aber sensibel ist, zeigen Daimlers Überlegungen, zentrale Konzernbereiche mit fast 2000 Leuten vom Potsdamer Platz nach Stuttgart zu verlegen. Der Standort Berlin leidet darunter, dass hier keine Konzernspitzen sitzen. Niemand wird in Sindelfingen dagegen demonstrieren, wenn Berliner Jobs verlegt werden. Ein Rückzug der Daimler-Vertriebsleute und der Finanzexperten wäre ein herber Rückschlag für die Stadt. Die letzten, inzwischen schon Jahre zurückliegenden Hiobsbotschaften von Arbeitsplatzverlusten betrafen eher weniger komplexe Tätigkeiten wie das Zusammenschrauben von Röhrenfernsehern. Wirtschaftsförderer behaupten inzwischen zwar gerne, die Stadt sei so attraktiv, dass kein Konzern mit gut ausgebildeten, urban orientierten Mitarbeitern an Berlin vorbeikomme. Geht hingegen Daimler, stünde nicht nur ein großer Teil des Potsdamer Platzes leer - auch der Ruf der Stadt als attraktiver Standort gerade für qualifizierte Tätigkeiten wäre lädiert. Die Drohung der Autobauer macht deutlich, dass Berlin seine wirtschaftliche Gesundung nur fortsetzen kann, wenn es auf seine eigenen Potenziale setzt. Das sind die vielen Gründer, die kleinen innovativen Firmen und seine klugen Forscher. Für sie muss der Senat die Bedingungen weiter verbessern.
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