BERLINER MORGENPOST: Kommentar zur Gesundheitspolitik der Regierung
Berlin (ots)
So dürfte sich kaum ein Wähler schwarz-gelbe Gesundheitspolitik vorgestellt haben. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird die Regierungskoalition in dieser Woche eine Reform festklopfen, die in keiner Weise Gestaltungswillen und Zukunftstauglichkeit erkennen lässt. Die im Koalitionsvertrag versprochene Entkoppelung der Kassenbeiträge von den Lohnnebenkosten? Kein Thema mehr. Mehr netto vom Brutto? Ein hehrer Vorsatz von gestern. Stattdessen: Beitragssteigerungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ein paar Sparmaßnahmen auf Seiten der Pharmaindustrie und der Krankenhäuser, ein höherer Steuerzuschuss und vielleicht auch die ein oder andere Leistungskürzung. Es ist wie immer: Ein bisschen von allem, alles hübsch dosiert, damit niemand auf den Gedanken kommt, die Medizin könnte allzu bitter schmecken. Und da alle etwas zu schlucken bekommen, wird das Reformfläschchen dann auch noch mit Etikett "sozial gerecht" geschmückt. Helfen, im Sinne von Heilen, wird diese Medizin jedoch nicht. Sie verhindert zwar kurzfristig den Zusammenbruch, doch ihr langfristiger therapeutischer Nutzen für das Gesundheitssystem ist gleich Null. Dafür sind die Nebenwirkungen erheblich. Denn natürlich werden die Arbeitgeber versuchen, ihre zusätzliche Belastung weiterzugeben: Durch einen geringeren Spielraum bei Tarifabschlüssen etwa oder - im schlimmsten Fall - durch ein vermindertes Arbeitsplatzangebot. Und die Beitragszahler werden durch den höheren Beitragssatz, den Anstieg der Zusatzbeiträge und den steigenden Steuerzuschuss sogar gleich dreifach zur Kasse gebeten. Dabei sind die Möglichkeiten zum Sparen innerhalb des bestehenden Systems noch nicht einmal ernsthaft ausgelotet. Sicherlich, das Pharma-Sparpaket von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sorgt dafür, dass eine Milliarde Euro weniger ausgegeben werden. Trotzdem bleibt es dabei, dass hierzulande viele Präparate doppelt so viel kosten wie im Ausland. Und warum gehen die Bundesbürger im Durchschnitt 18 Mal im Jahr zum Doktor, wenn die Menschen in anderen Industrieländern mit einem Bruchteil an Arztbesuchen auch nicht kränker sind? Und weshalb leisten wir uns noch immer den Luxus einer überbordenden Gesundheitsbürokratie mit teils fürstlich bezahlten Funktionären? Es wäre Pflicht der Regierung, der Verwendung jeden Beitragseuros nachzuspüren, bevor höhere Beiträge überhaupt erwogen werden. Schwarz-Gelb knüpft stattdessen nahtlos an die unselige, jahrzehntealte Tradition deutscher Gesundheitspolitik an. Statt die gesetzliche Krankenversicherung durch grundlegende Reformen, mehr Wettbewerb und auch eine Fokussierung des Leistungskatalogs zu stabilisieren, wird einfach noch mehr Geld ins System gepumpt. Es ist eine Flucht aus der Verantwortung - sollen doch andere später sehen, wie sie dem Bürger unvermeidliche Einschnitte erklären.
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