BERLINER MORGENPOST: Offen in alle Richtungen Hajo Schumacher über die Bedeutung des Siegs der SPD in Mecklenburg-Vorpommern
Berlin (ots)
In eher unruhigen Zeiten hat es etwas Beruhigendes, wenn das Erwartete und Prognostizierte tatsächlich eintritt. In Mecklenburg-Vorpommern, einem kleinen, armen und randständigen Bundesland, setzt voraussichtlich eine große Koalition der Unspektakulären ihre Arbeit fort. Wenig überraschend wurde Erwin Sellering (SPD) im Amt des Ministerpräsidenten bestätigt, ein glamourfreier Westfale, ähnlich spröde wie der Kollege Scholz aus Hamburg und daher offenbar halbwegs vertrauenswürdig. An Sellerings Seite wird wohl auch in Zukunft Lorenz Caffier (CDU) dienen, ähnlich unaufgeregt wie der Regierungschef. Caffier setzte eine umstrittene Kreisgebietsreform durch, um das schrumpfende Bundesland etwas schlanker zu gestalten. Dafür dürfte er mit Stimmverlusten bestraft worden sein. Ebenso erwartungsgemäß wurde die Trümmertruppe von der FDP aus dem Landtag gewählt, die Grünen wiederum hinein. Nun ist die Öko-Partei in jedem deutschen Landtag vertreten, wobei nie klar ist, ob als konservative, liberale oder soziale Kraft. Unverdient viel Aufmerksamkeit bekamen in diesem Wahlkampf die Spinner von der NPD, Krawalleros, die jeden Laternenpfahl im Land mit ihren Hetzplakaten belegt hatten. Zwar schaffte es die aggressive Bande unter Führung des verurteilten Volksverhetzers Pastörs wieder in den Schweriner Landtag, doch immerhin hat die Partei fast ein Drittel ihrer Wählerschaft verloren. Wenn auch zu langsam, so scheint sich doch herumzusprechen, dass das ganze Land, vor allem der Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig, massiv unter den braunen Horden leidet. Die durchsichtige Strategie der Neonazis, ein vermeintlich schwaches Bundesland gleichsam zu unterwandern, scheint zumindest vorerst gebremst, auch wenn die NPD kommunal nach wie vor umtriebig ist. Dass fast die Hälfte im Nordosten überhaupt nicht wählen ging, ist bedenklich, andererseits erklärbar, da Sellering als ziemlich sicherer Sieger feststand. Der Ossi-Versteher aus Sprockhövel bei Dortmund setzt mit seinem Triumph die Serie der SPD fort. Obgleich an der Spitze eher ungeordnet, erfolgt das Comeback der Sozialdemokratie via Bundesländer vor allem aus einem Grund: Die SPD ist in jede Richtung koalitionsfähig. Sellering darf zwischen Linkspartei und CDU auswählen, Klaus Wowereit in zwei Wochen womöglich gar zwischen drei Parteien. Die Union dagegen kann bislang nur mit FDP oder SPD. Auch wenn taktische Spielchen verlockend sind, täte Sellering gut daran, die bewährte bürgerliche Koalition fortzusetzen. Wie Teile Niedersachsens, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts läuft auch Mecklenburg-Vorpommern langsam leer; was demografischer Wandel bedeutet, lässt sich hier an nahezu entvölkerten Landstrichen beobachten. Wie aber organisiert man das Weniger? Mehr Natur ist schön, aber 100 Kilometer zum nächsten Facharzt bedeuten ein Problem. Als Labor für ein kleineres, aber nicht unattraktiveres ländliches Deutschland kann Mecklenburg-Vorpommern durchaus neue Bedeutung gewinnen.
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