BERLINER MORGENPOST: Der richtige Preisschock kommt erst noch - Leitartikel
Berlin (ots)
Es ist fast schon ein ärgerliches Ritual, das einem kurz vor Weihnachten die Laune verdirbt. Sechs Wochen vor dem Jahreswechsel kündigt Vattenfall höhere Strompreise an. So war es 2010, so ist es auch in diesem Jahr. Die Strompreise kletterten im Januar 2011 um neun Prozent, und im ersten Monat des kommenden Jahres werden noch einmal sieben Prozent raufgepackt. Mal muss der Ausbau der erneuerbaren Energien als Erklärung herhalten - in diesem Jahr sind es höhere Gebühren für die Nutzung der Stromleitungen in der Stadt. Völlig verständlich, wenn die rund 1,5 Millionen Vattenfall-Kunden in Berlin verärgert sind. Allerdings greift es zu kurz, sich nun über "Abzocke" zu ärgern und das Unternehmen zu verdammen. Zunächst werden weitere Anbieter ebenfalls die Preise erhöhen. Das ist kein Trost, zeigt aber, dass die Kosten für die Anbieter flächendeckend gestiegen sind. Viel entscheidender aber ist, sich klarzumachen, was da in den nächsten Jahren noch kommen wird. Die Verbraucher, wir alle, müssen über die Stromrechnung einen epochalen Wandel in Deutschland finanzieren. Bei aller Ablehnung von Atomstrom und dem begrüßenswerten Ausbau von Wind- und Sonnenenergie wird das gern ausgeblendet. Seit dem Beginn der Industrialisierung wurde in Deutschland eine Energie-Infrastruktur errichtet, die - kurz skizziert - wie folgt aussieht: Mächtige Kraftwerke, kohlebefeuert oder Kernspaltung nutzend, erzeugen jene Energie, die Verbraucher und Betriebe benötigen. Die Zukunft soll so aussehen: Viel weniger Großkraftwerke und viel mehr kleine Einheiten, vor allem viele Windkraftanlagen, produzieren die Elektrizität. Dieses Vorhaben verschlingt Milliarden. In Nord- und Ostsee werden gigantische Windmühlen aufgestellt. In Metropolen entstehen überall Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen. Das alles muss bezahlt werden und dazu Tausende Kilometer neue Stromleitungen, Umspannwerke. Zudem sollen "intelligente Stromzähler" in die Haushalte kommen und dabei helfen, den Verbrauch zu reduzieren. Ein solcher Prozess pflügt die Energiebranche um, verlangt horrende Investitionen, viel Forschung und gemeinsamen Willen von Politik, Unternehmen und Verbrauchern. Alles zusammen ist im wahrsten Sinne des Wortes der Preis, den wir für den Atomausstieg zahlen. Dieser ist politisch gewollt und mit deutlicher Mehrheit demokratisch legitimiert. Es ist also selbst gewählt. Daran muss immer erinnert werden, wenn der Ausstiegsbeschluss angezweifelt wird. Nur muss allen bewusst werden, welcher Mammutaufgabe sich Deutschland verschrieben hat. Deren Lösung wird, wenn sie gelingt, weltweit Bewunderung ernten. Aber das wird dauern, Konflikte aufbrechen lassen - und vor allem wird es verdammt teuer. Ja, man darf sich über Preiserhöhungen ärgern. Und die jüngsten Anhebungen haben mit dem Projekt Energieumbau noch gar nichts zu tun. Aber die Ankündigungen der Energieversorger werden die Haushalte in schöner Regelmäßigkeit erreichen. Die Preissprünge werden happig ausfallen. Es werden Schreiben sein, die daran erinnern, dass ein radikaler Wechsel in Deutschland eingeläutet wurde.
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