BERLINER MORGENPOST: Die Wirklichkeit der iranischen Bombe - Leitartikel
Berlin (ots)
Der Sturm auf die britische Botschaft in Teheran ist mehr als ein Schurkenstück. Die Gewalt ist Staatsaktion. Glaubt irgendwer, Zusammenrottungen der Schlägertrupps des Regimes, die Molotow-Cocktails werfen und befestigte Gebäudekomplexe erstürmen, gebe es in Teheran ohne Duldung und Zutun der Sicherheitskräfte? Allerdings zeigt die verhaltene Reaktion des Außenministeriums in Teheran, dass in dem undurchsichtigen Regime verschiedene Kraftzentren gegeneinanderstehen, die zwar nicht in der Sache, wohl aber im Stil Differenzen haben. Anlass des Gewaltausbruchs ist offenkundig die harte Haltung der Briten in Sachen Boykott, der den Griff des Regimes nach atomaren Waffen verhindern soll. Die Briten gehen mit dem Totalboykott der iranischen Zentralbank und weiterer Institute weiter als selbst die Amerikaner. Sie lösen damit in der Tat Lähmungen im iranischen Außenhandel aus. Die Erkenntnisse der Wiener IAEA, die als Unterorganisation der Vereinten Nationen den Atomwaffensperrvertrag überwacht und einschärft, sind unzweideutig: Der Iran verfügt über Mittelstreckenraketen und ist auf dem Weg zur Bombe weit fortgeschritten. Teherans Atombombe aber bedeutet das Mittel, den Mittleren Osten zur Domäne der Iraner zu machen - auch ohne dass sie abgefeuert wird. Die Urheber der Gewaltaktion, die die Schläger von der Leine ließen, wollten nicht nur ihre Verachtung für internationale Sitten und Gebräuche kundtun, sondern offenkundig auch die Brücken zum Rest der Welt - wenn man einmal Nordkorea & Co. ausnimmt - abbrechen. Bisher hat man Unterschiede gesehen zwischen Technokraten, die für die Modernisierung des Landes Kompromisse offenhalten wollen, und den Propheten des letzten Gefechts, die den Staat Israel zu vernichten drohen. Das Auswärtige Amt äußert Abscheu und Empörung und ruft nun auch den deutschen Botschafter aus Teheran nach Berlin zurück. Wichtiger aber ist es, jene deutschen Unternehmen, die weiterhin mit Maschinen und Ersatzteilen die Industrie des Iran am Laufen halten, mit den Folgen zu konfrontieren. Deutschland hat den technischen Schlüssel, um den Iran zum Stillstand zu bringen und die Mullahs zum Nachdenken zu zwingen. Bisher hat sich die Bundesrepublik zwischen Amerikanern, Briten und Franzosen auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite durchlaviert. Jetzt muss die deutsche Außenpolitik tun, was ihr am schwersten fällt, nämlich klarmachen, auf welcher Seite sie steht. Auch die Kanzlerin muss verdeutlichen, ob ihr Wort, die Sicherheit Israels sei "Staatsräson" Deutschlands, in der Wirklichkeit des Ringens um die Ordnung des Mittleren Ostens etwas gilt - oder ob es nur schön klingt.
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