BERLINER MORGENPOST: Die Akten müssen auf den Tisch
Leitartikel
Berlin (ots)
Das Verhältnis der Linken zum Verfassungsschutz schwankt je nach politischer Konjunktur zwischen der Forderung nach Amtsauflösung und dem Wunsch, die Ressourcen der Behörde beim "Kampf gegen rechts" einzusetzen. In der Umbruchzeit 1989/90 träumten gar manche Genossen der "SED-PDS", wie sie sich damals nannte, davon, das Ministerium für Staatssicherheit als antifaschistische Staatsbehörde ins neue Deutschland hinüberzuretten. Heute sitzt die Linke mit 76 Abgeordneten im Deutschen Bundestag - 27 dieser Parlamentarier werden offensichtlich vom Verfassungsschutz beobachtet. Diese Tatsache allein eignet sich kaum zur Skandalisierung. Der Linken ist es auch nach mehreren Umbenennungen und organisatorischen Neuaufstellungen nicht gelungen, ihr Verhältnis zu Rechtsstaat und Demokratie zweifelsfrei zu klären. Gerade in den vergangenen Jahren haben mit der sogenannten Westausdehnung der Partei viele linksextreme Sektierer Fuß fassen können. Für diese Leute müssen sich die Beamten des Verfassungsschutzes interessieren, sonst hätten sie ihren Beruf verfehlt. Wer, wie selbst Parteichefin Gesine Lötzsch, den Kommunismus als intellektuelles Experiment verharmlost, seine Millionen Opfer verschweigt und das unsägliche Leid kleinredet, das er im 20. Jahrhundert über viele Völker der Erde gebracht hat, der darf sich nicht wundern, wenn das in einer wehrhaften Demokratie irgendwo notiert wird. Deshalb hat der Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, sicher recht, wenn er die Linke als "Schutzraum für alte Kader" bezeichnet und damit den Einsatz des Verfassungsschutzes gegen einzelne Abgeordnete und Aktivisten der Linken begründet. Dennoch bleibt ein fahler Beigeschmack. Warum der Verfassungsschutz sich bei den Linken offenbar zu einem großen Teil ausgerechnet den sogenannten Reformflügel vorgeknöpft hat, bedarf der Erklärung. Politiker wie Gregor Gysi, Bodo Ramelow oder Dietmar Bartsch sind keine Verfassungsfeinde. Man mag ihre politischen Positionen verurteilen. Man muss jedoch in der Bundesrepublik Sozialist sein dürfen, ohne dass einem gleich ein Geheimdienst auf die Pelle rückt. Es ist richtig, dass Bundesinnenminister Friedrich nun eine Überprüfung der Vorgänge zugesagt hat. Wenn frei gewählte Abgeordnete ins Visier des Verfassungsschutzes geraten, bedarf das in einer parlamentarischen Demokratie einer handfesten Begründung. Der Hinweis, darüber könne man leider nicht reden, das sei schließlich geheim, passt nicht mehr in unsere Zeit. Am Ende nützt solch verstohlenes Verhalten übrigens den Linken, deren Reihen derzeit fest geschlossen sind wie lange nicht. In der erprobten Opferrolle fühlt man sich dort am wohlsten. Die Akten Ramelow, Gysi, Pau und Co. müssen deshalb auf den Tisch - und zwar ungeschwärzt. Entweder gibt es Gründe, an ihrer Haltung gegenüber Staat und Verfassung zu zweifeln - oder es gibt sie eben nicht. Die Bürger dieses Landes sind mündig genug, das ganz allein und ohne behördliche Lesehilfe zu entscheiden.
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