BERLINER MORGENPOST: Assad wankt - und Berlin schwankt - Leitartikel
Berlin (ots)
In Libyen begann der Aufstand gegen Gaddafi vor ziemlich genau einem Jahr. Es dauerte nur wenige Wochen, bis die Nato eingriff. In Syrien begann der Aufstand gegen Assad ebenfalls vor ziemlich genau einem Jahr. Bis heute kämpfen die Rebellen alleine. Im Falle Libyen begründete die Nato ihr Eingreifen damit, dass Gaddafi in Bengasi ein Massaker unter den dort in die Enge getriebenen Rebellen veranstalten wollte. Im Falle Syrien dringen zahllose Berichte über ein zumindest massakerähnliches Vorgehen Baschir al-Assads an die Öffentlichkeit. Die Nato sieht trotzdem keinen Grund zum Eingreifen. Das hat so manche Gründe. Man wollte zum Beispiel die Arabische Liga zwingen (oder ihr die Chance geben), endlich einmal aktiv regionale Verantwortung für den Frieden zu übernehmen. Die Liga hat nun freilich ihre Beobachtermission wegen überhandnehmender Gewalt ausgesetzt. Das ist auch kein Wunder, denn unter der Oberfläche eines "Staates Syrien" gibt es zahllose religiöse und ethnische Faktoren, die die Nachbarn zögern lassen, den Schiedsrichter zu spielen. Die Nato ist offenkundig auch nicht erpicht darauf, im Schnittpunkt der Länder Türkei, Israel, Irak und Iran militärisch aktiv zu werden. Die Region ist politisch zu heiß. Man kann sich dort die Finger verbrennen und in Situationen kommen, aus denen herauszufinden weitaus schwerer ist, als mutwillig in sie hineinzugeraten. Die Rebellen schaffen es aber anscheinend auch ohne westliche Hilfe, Assad zu stürzen. Es wird offenbar bereits in Damaskus gekämpft. Wenn Assad stürzt, werden die Muslimbrüder auch in Syrien eine große Rolle spielen. Sie haben seit Anfang der 80er-Jahre auf diesen Tag hin gelebt - seit der Muslim-Revolte in der Stadt Hama. Die ließ Assads Vater damals brutal niederschlagen, es gab Tausende Tote. Wenn Assads Sohn stürzt, und es kann bald so weit sein, ist Israel fast nur noch von islamistischen Ländern umgeben. Das ist für Deutschland ein Grund, sich Sorgen zu machen. Angela Merkel hat gesagt: Israels Sicherheit ist Teil der deutschen Staatsräson. Sie hat damit gemeint: Nach Auschwitz kann Deutschland nicht einfach zuschauen, wenn sechs Millionen Juden in Israel Angst um ihre Zukunft bekommen. Merkel hat zugleich in immer dringenderem Ton Israel gebeten, den Neubau jüdischer Siedlungen auf den 1967 eroberten palästinensischen Gebieten auszusetzen. Sie hat das getan, weil die vorbehaltlose deutsche Unterstützung Israels kein politischer Blankoscheck für Premier Benjamin Netanjahu sein kann, jetzt noch schnell diese oder jene Siedlung zu genehmigen. Die Siedlungen haben militärisch Sinn, aber haben einen politischen Preis. Es wird deshalb Zeit, ein Konzept dafür zu entwickeln, wie der "arabische Frühling" und Israels Sicherheit zusammenpassen. Außenminister Westerwelle und Entwicklungshilfeminister Niebel fahren nicht ohne Grund diese Woche nach Jordanien und Israel: Jordanien ist Israels letzter gemäßigter Nachbar, in Palästina stehen die Dinge auf Spitz und Knopf. Westerwelle will ausloten, wie weit Berlin sich mit Forderungen nach Verhandlungen vorwagen kann - damit nicht auch noch Jordanien im Chaos versinkt.
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