BERLINER MORGENPOST: Es geht um mehr als höheren Lohn
Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Berlin (ots)
Das waren noch Zeiten, als die Lufthansa Königin im Luftraum über Deutschland war und ihre Stewardessen und Stewards zu den Besserverdienern im Lande zählten. Aus und vorbei, seit Air Berlin sich zum ernst zu nehmenden Konkurrenten mit vergleichbarem Service gemausert hat. Und Ryanair und Easyjet der Kranich-Airline Konkurrenz machen und bei Mini-Service Billigtickets verkaufen. Wie hart der Wettbewerb auf den nationalen und europäischen Strecken mittlerweile geworden ist, bekommen in diesen Tagen Zehntausende von gebuchten Passagieren zu spüren, die am Boden bleiben. Wenn Ufo, die Gewerkschaft der Flugbegleiter der Lufthansa, wahrmacht, womit sie droht, dann kann morgen der Flugverkehr in Deutschland sogar weitgehend zum Erliegen kommen. In dem Arbeitskampf zwischen Ufo und Lufthansa ist die Forderung nach einer Gehaltserhöhung um fünf Prozent eher zweitrangig. Im Kern geht es - wie in vielen anderen Branchen auch - um die Sorge der Mitarbeiter, dass immer mehr Teile des Unternehmens ausgegliedert und dann von geringer bezahltem Personal fortgeführt wird. Dabei fürchten die Lufthanseaten nicht allein "Leiharbeiter", sondern selbst irgendwann zu schlechteren Konditionen ausgegliedert zu werden. Wie verständlich und wahrlich nicht unberechtigt diese Sorge ist, bestätigt die Lufthansa zumindest indirekt durch einen aktuellen Testversuch. Für ihre Flüge von und nach Berlin hat sie rund 230 Flugbegleiter einer Leiharbeitsfirma angeheuert. Folge des immer härteren Kampfes um Passagiere samt sehr viel billiger gewordenen Tickets. Seit Langem schreibt die Premiummarke Lufthansa im nationalen wie im europäischen Verkehr rote Zahlen. Zugleich schrumpfen die Gewinne auf den Langstrecken angesichts hoher Kerosinkosten und der Konkurrenz staatlich geförderter Scheich-Airlines. So sieht sich die Lufthansa wohl begründet gezwungen, ein Sparprogramm durchzuziehen, will sie wettbewerbsfähig bleiben. All das zeichnet sich seit Langem ab. Und seit Längerem, nämlich seit einem Jahr, verhandeln Ufo und Lufthansa über einen Kompromiss. Dabei haben die Verhandlungsführer der Airline die Härte und Entschlossenheit ihres Gegenübers offenkundig unterschätzt. Die wiederum scheinen von der Wirkung ihrer Kampfmaßnahmen wie berauscht. Es wird höchste Zeit, dass beide Seiten zur Besinnung kommen. Um weiteren Schaden vom gemeinsamen Unternehmen abzuwenden. Vor allem aber, um Zehntausende Passagiere nicht länger aus Eigeninteresse in Geiselhaft zu nehmen. Der Konflikt bestätigt im Übrigen eine höchst bedenkliche Entwicklung. Was einst England an den Rand des wirtschaftlichen Ruins führte, ist nun auch hierzulande immer häufiger zu beobachten: Kleine Berufsgruppen lassen ihre Muskeln spielen, um ihre Sonderinteressen durchzusetzen. Dass sie dabei weite Teile des Landes lahmlegen, ist wohlkalkuliert. Die Lokführer haben es vorgemacht, die Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen versucht, die Flugbegleiter ziehen es gerade durch, und die Ärzte drohen damit. Zu streiken ist ein Grundrecht; zu erpressen nicht.
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