BERLINER MORGENPOST: Schmerzhafter Wandel
Leitartikel von Christine Richter zu Berlin-Touristen
Berlin (ots)
Kurzform: Jedem in Berlin muss klar sein: Nach Spandau oder Köpenick kann man den einen oder anderen Besucher locken, aber die Masse wird sich nicht auf den Weg in die Außenbezirke machen. Das ist in Berlin nicht anders als in Paris oder Barcelona. In den Szenekiezen brauchen die Anwohner etwas anderes: klare Regelungen zur Nachtruhe bei Kneipen und Restaurants, Kontrolle dieser durch die Ordnungsämter, mehr Einsätze der Berliner Stadtreinigung, Verbot neuer Kneipen oder Hotels. Und sie selbst müssen einsehen, dass sie die Zeit nicht zurückdrehen können. So schmerzhaft der Wandel für sie persönlich auch ist.
Der vollständige Leitartikel: Zuerst war die Euphorie groß: Nach dem Fall der Mauer sind in den letzten, fast drei Jahrzehnten immer mehr Menschen aus aller Welt nach Berlin geströmt. Viele von ihnen, um zu bleiben, wesentlich mehr aber, um sich als Tourist die Stadt zu erobern. Und weil Berlin so unfertig war, weil es ständig etwas Neues zu entdecken gab und bis heute gibt, kommen viele Besucher nicht nur einmal, sondern eben mehrmals nach Berlin. Darauf waren - und sind - die Berliner stolz, der Senat natürlich auch, und die Berlin-Werber von der Tourismusgesellschaft "Visit Berlin" freuen sich jedes Jahr über neue Rekordzahlen. Derzeit sind wir bei zwölf Millionen Besuchern im Jahr - und rund 31 Millionen Übernachtungen - angekommen. Das ist gut so, denn Berlin, vor allem die Wirtschaft, braucht die Touristen. Doch auf Euphorie folgt bekanntlich der Katzenjammer. Denn natürlich ist es eine Belastung für die Stadt, wenn immer mehr Touristen an die Spree kommen. So veränderten sich schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer ganze Straßenzüge, weil eine Kneipe neben der anderen entstand, zwischendrin vielleicht noch ein Hostel oder ein Späti, damit die jungen Touristen rund um die Uhr ihre Getränke und Zigaretten kaufen können. Besonders eindrucksvoll war das schon Mitte der 90er-Jahre an der Simon-Dach-Straße und den umliegenden Straßen in Friedrichshain zu beobachten; in den letzten Jahren hat sich die Situation rund um das RAW-Gelände an der Revaler Straße und an der Warschauer Brücke dramatisch verschlechtert. Der Tourismus, der sich dort etabliert hat, ist eben kein schöner, sondern geprägt von Alkohol, Drogenkonsum, Lärm und Dreck - einhergehend mit einer hohen Kriminalitätsrate. Ich wundere mich deshalb nicht, wenn Anwohner nun klagen: "Wir wollen unseren Kiez zurückhaben." Nur: Das wird sich so kaum realisieren lassen. Die Probleme, die in Berlin mit dem wachsenden Tourismuszahlen entstanden sind, betreffen vor allem die Innenstadt-Bezirke. Auch dort muss man Unterschiede machen: In der City West geht es meist gesittet zu, in Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain ist nicht oder zu spät steuernd eingegriffen worden - was die Genehmigung von Kneipen, Hostels oder Ferienwohnungen betrifft. Da sind viele Fehler gemacht worden, zum Beispiel wurden Kontrollen von zig Ferienwohnungen in Wohnblöcken nicht sichergestellt. Den Anwohnern wäre schon sehr geholfen, wenn sich eben nicht Kneipe an Kneipe reihen würde, wenn die Zahl der Hostels nicht grenzenlos wachsen würde. Wer aber glaubt, sein Szenekiez werde wieder so wie früher, der irrt. Ein Beispiel nur: Der Mauerpark in Prenzlauer Berg - das war Anfang der 90er-Jahre wirklich ein Park; da konnte man am Wochenende hingehen und fand seinen Platz auf der Wiese, man konnte in Ruhe lesen oder einfach nur in der Sonne sitzen. Vorbei - heute kommen an einem sonnigen Wochenende bis zu 40.000 Menschen in den Mauerpark. Jedem in Berlin muss klar sein: Nach Spandau oder Köpenick kann man den einen oder anderen Besucher locken, aber die Masse wird sich nicht auf den Weg in die Außenbezirke machen. Das ist in Berlin nicht anders als in Paris oder Barcelona. In den Szenekiezen brauchen die Anwohner etwas anderes: klare Regelungen zur Nachtruhe bei Kneipen und Restaurants, Kontrolle dieser durch die Ordnungsämter, mehr Einsätze der Berliner Stadtreinigung, Verbot neuer Kneipen oder Hotels. Und sie selbst müssen einsehen, dass sie die Zeit nicht zurückdrehen können. So schmerzhaft der Wandel für sie persönlich auch ist.
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