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BERLINER MORGENPOST: Europa muss mehr tun
Leitartikel von Michael Backfisch

Berlin (ots)

Es sind schwere Tage für Europa. Das quälende Hickhack bei den Brexit-Verhandlungen, die neue atomare Bedrohung im Zuge der Kündigung des INF-Mittelstreckenvertrags sind bereits eine gewaltige Hypothek. Hinzu kommen die immer stärker werdenden verbalen Angriffswellen aus Washington.

Die US-Attacken gegen das insbesondere von Deutschland vorangetriebene Erdgas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 haben an Schärfe zugenommen. Auch beim Atomstreit mit dem Iran wächst der Druck. Gerade warf US-Vizepräsident Mike Pence dem Mullah-Regime die Vorbereitung eines "neuen Holocausts" vor. Im gleichen Atemzug forderte er die Europäer ultimativ auf, aus dem Nuklearabkommen auszusteigen. Es wird nicht konkret gesagt, aber es wird angedeutet: Wenn die Europäer an dem Vertrag festhalten, ist der militärische Schutzschirm der Amerikaner keineswegs garantiert.

Das Damoklesschwert eines US-Austritts aus der Nato schwebt seit längerer Zeit über dem westlichen Verteidigungsbündnis. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es geahnt, als sie im Mai 2017 in ihrer Bierzeltrede in München-Trudering mahnte: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei." Beim Nato-Gipfel im Juli 2018 drohte US-Präsident Donald Trump unverblümt mit einem Rückzug aus der Allianz. Sollten die Mitgliedsstaaten nicht ab sofort zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben, würde Amerika "sein eigenes Ding machen".

Vor diesem Hintergrund hängen dunkle Wolken über der Münchner Sicherheitskonferenz, die am Freitagnachmittag begonnen hat. Noch nie war die Welt so gespalten und konfliktbeladen, wenn sich rund 30 Staats- und Regierungschefs und 90 Minister aus allen Kontinenten in der bayerischen Landeshauptstadt treffen. Die transatlantischen Beziehungen sind schwer erschüttert, die USA ziehen sich aus Krisenregionen wie Syrien und Afghanistan zurück. Russland setzt sich dafür in Syrien fest - im Einvernehmen mit den autokratischen Regierungen in der Türkei und im Iran. Derweil arbeitet China an seinem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg.

Es ist richtig, wenn sich die Kanzlerin und der Außenminister um eine "Allianz der Multilateralisten" bemühen. Und es ist lobenswert, vor allem in der Handels- und Klimapolitik auf Partner wie Japan oder Kanada zu bauen. Dahinter steckt der Aufbau einer Gegenwelt zum US-Präsidenten, in der verbindliche Regeln statt Polit-Machismo vorherrschen. Allein: Das reicht nicht. Europa muss angesichts des Unsicherheitsfaktors von Trump-Amerika mehr für die eigene Verteidigung tun. Das ist keine Konkurrenzveranstaltung zur Nato, sondern der europäische Anker des Bündnisses. Dazu gehört auch, dass alle Mitglieder - auch Deutschland - das von der Allianz für 2024 anvisierte Zwei-Prozent-Ziel einlösen.

Die im November 2017 vereinbarte "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" - in Anlehnung an die englische Bezeichnung "Pesco" genannt - ist ein erster Schritt. Die aufeinander abgestimmte Beschaffung von Waffen, die Bildung gemeinsamer Einheiten müssen jedoch schnell umgesetzt werden. Die Zeit drängt. Die EU-Länder sollten dies im eigenen Interesse vorantreiben. Selbst wenn der nächste US-Präsident oder die nächste US-Präsidentin von der Partei der Demokraten kommt: Die noch unter Bill Clinton vorhandene Bindekraft zwischen Amerika und der "Alten Welt" wird weiter abnehmen. Die Europäer müssen lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.

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