BERLINER MORGENPOST: Tanz der Autokraten
Michael Backfisch zum G20-Gipfel
Berlin (ots)
a)Kurzform:
Es ist ein Tanz der autokratisch angehauchten Alphatiere. Es geht vor allem um Ego-Show. Grundsätzliche Fragen wie Freihandel und Klimapolitik rangieren hinten. Trumps Charmeoffensive gegenüber Angela Merkel war ungewöhnlich. Bei den ausstehenden Streitpunkten wird der Präsident jedoch um keinen Deut konzilianter werden. Auffällig auch die Klimaaufhellung zwischen Trump und Putin. Hatte der Amerikaner beim letzten G20-Gipfel das Treffen mit dem Russen in letzter Minute abgesagt, hagelte es in Japan gegenseitige Freundlichkeiten. Doch an den Positionen beider Länder ändert dies nichts. Insbesondere im Iran-Konflikt hält der Kremlchef an dem Schulterschluss mit den Mullahs fest. Eines der wichtigsten Themen in Japan war die Gefahr eines amerikanisch-chinesischen Handelskriegs. Die Chinesen sind zunehmend selbstbewusst und werden nicht klein beigeben. Zudem lässt der Präsident gelegentlich ökonomische Grundweisheiten außer Acht. Importsteuern auf chinesische Produkte träfen zuallererst US-Firmen.
b) Der vollständige Leitartikel:
Die Großen und Mächtigen bestimmen zunehmend die Bühne der internationalen Politik. US-Präsident Donald Trump, sein russischer Amtskollege Wladimir Putin sowie der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping sind die Schlüsselfiguren der neuen Zeit. Das zeigt sich auch beim G20-Gipfel der größten Industrieländer in Japan. Es ist ein Tanz der autokratisch angehauchten Alphatiere. Bei der Gründung des Forums auf Spitzenebene im Jahr 2008 hatte noch eine weltweit koordinierte Antwort auf die Finanzkrise im Vordergrund gestanden. Heute geht es vor allem um Ego-Show und Machtdemonstration. Grundsätzliche Fragen wie Freihandel und Klimapolitik rangieren hinten. Trumps Charmeoffensive gegenüber Angela Merkel war ungewöhnlich. In der Vergangenheit hatte der Präsident immer wieder verbal auf die Kanzlerin eingedroschen. Auslöser waren die seiner Ansicht nach zu geringen deutschen Verteidigungsausgaben, die Exportüberschüsse von Daimler und Co, die Teilnahme am von Russland angestoßenen Erdgas-Pipelineprojekt Nord Stream 2. Doch dahinter steckten auch Trumps Ressentiments gegen Merkel, die von einigen US-Medien als "letzte Führerin der freien Welt" gefeiert wurde. Die Kanzlerin wies dies zwar sofort zurück. Doch ihr offensives Eintreten für eine multilaterale Weltordnung - zuletzt bei ihrer Rede Ende Mai an der Elite-Uni Harvard - wurde als Spitze gegen den Bulldozer-Kurs des Präsidenten gewertet. In Osaka gab sich Trump hingegen großmütig. Ob ihn Merkels jüngste Zitteranfälle milde stimmten, weiß nur er. Ein testosterongesteuerter Politiker wie Trump hat ein feines Gespür für die Stärken und Schwächen seiner Kontrahenten. Bei den ausstehenden Streitpunkten wird der Präsident jedoch um keinen Deut konzilianter werden. Auffällig auch die atmosphärische Klimaaufhellung zwischen Trump und Putin. Hatte der Amerikaner beim letzten G20-Gipfel in Buenos Aires das Treffen mit dem Russen in letzter Minute abgesagt, hagelte es in Japan gegenseitige Freundlichkeiten. Vor allem hinter Putins Lobeshymnen für Trumps eisenharte Migrationspolitik stand offensichtlich der Versuch, gut Wetter zu machen. Doch an den gegensätzlichen Positionen beider Länder ändert dies nichts. Insbesondere im Iran-Konflikt hält der Kremlchef an dem Schulterschluss mit den Mullahs fest. Trumps Parforceritt gegen Teheran stößt bei ihm auf scharfe Kritik. Russland sieht sich als Hüterin des Status quo im Nahen Osten. Regimewechsel kommen für Putin im Iran ebenso wenig in Frage wie in Syrien. Die amerikanischen Militärinterventionen im Irak (2003) und in Libyen (2011) werden in Moskau als Auslöser von Instabilität und Chaos gewertet. Eines der wichtigsten Themen in Japan war die Gefahr eines amerikanisch-chinesischen Handelskriegs. Trump hatte vor dem G20-Gipfel schwere Geschütze aufgefahren. Mit der Drohung einer Mega-Zollkeule will er Peking zu Zugeständnissen zwingen. Doch die Chinesen sind zunehmend selbstbewusst und werden nicht klein beigeben. Die Wirtschaftsmacht in Fernost ist nicht nur der größte Gläubiger der Vereinigten Staaten, der am Geldhahn drehen könnte. Zudem lässt der Präsident gelegentlich ökonomische Grundweisheiten außer Acht. Importsteuern auf chinesische Produkte träfen zuallererst US-Firmen, die die höheren Preise wohl an die Verbraucher weitergeben würden. Abgesehen davon, dass viele US-Betriebe auf Zulieferungen aus China angewiesen sind. Trump vollführt einen Tanz auf der Rasierklinge: Einerseits betreibt er verbale Kraftmeierei, andererseits steckt er in einengenden Sachzwängen.
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