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WirtschaftsWoche: Chefredakteur Stefan Baron über das Verhältnis Europas zu den USA

Düsseldorf (ots)

WirtschaftsWoche-Chefredakteur Stefan Baron
über das Verhältnis Europas zu den USA
Stachel im Fleisch
Der Demokrat“, so der kolumbianische Schriftsteller Nicolás Gómez
Dávila, „ist dazu im Stande, selbst seine Interessen seinem
Ressentiment zu opfern.“
Man muss kein Demokratieverächter sein wie Gómez Dávila, um an
dieser Beobachtung viel Wahres zu finden. Die Bundestagswahl vor zwei
Jahren etwa lässt sich als Beleg dafür heranziehen und, ganz aktuell,
die jüngste Präsidentschaftswahl in den USA. Wohl nie zuvor hat der
Wahlkampf in einem anderen und fernen Land die Deutschen so sehr in
seinen Bann gezogen wie der Wettstreit zwischen George W. Bush und
John Kerry.
Verwundern vermag das nur auf den ersten Blick: Es ging um viel
bei dieser Wahl – wenn auch nicht in dem Sinne, wie die meisten
Deutschen dies sehen. Deren Meinung brachte in zugespitzter Form der
Filmemacher Wim Wenders am Sonntagabend bei Sabine Christiansen auf
den Punkt. Wenders zeichnete das Schreckensbild eines „totalitären“
Amerikas, sprach von einem „Pulverfass“, das in den nächsten Jahren
„in die Luft fliegen“ und „uns alle mitreißen“ werde, wenn Bush
wieder gewählt werde. Das Publikum im Studio applaudierte kräftig,
das Ressentiment war mit Händen zu greifen.
Die schon an Hysterie grenzende Anteilnahme der Deutschen am
Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA und die kaum noch von
Hass zu unterscheidende Abneigung gegenüber George W. Bush legen eine
erschreckende mentale Verfassung bloß. Sie zeigen ein ebenso
selbstgerechtes und rechthaberisches wie verwirrtes Land. Und sie
zeigen – wie schon das erfolgreiche Mobbing gegen den katholisch-
konservativen Kommissaranwärter Rocco Buttiglione im Europaparlament
– beängstigende Illiberalität.
Es ist natürlich kein Zufall, dass die Anti-Bush-Emotionen gerade
hier zu Lande so hohe Wellen schlagen. Die hergebrachten Werte
Nation, Familie, Religion geben vielen Deutschen keine Orientierung
mehr. Ein Mann wie Bush, der nach langen Irrungen seine Identität
gerade in diesen Werten gefunden hat, muss ihnen wie der Stachel im
Fleisch erscheinen. Er ist der böse Amerikaner. John Kerry dagegen
ist der gute. Weil er so ist wie man selbst: unverbindlich,
wankelmütig, ohne tiefe Überzeugungen.
Die Deutschen spüren, dass die Amerikaner einen ganz anderen Weg
eingeschlagen haben als sie selbst. Und sie kreiden das Bush an,
obwohl der nur das Marschtempo beschleunigt, nicht aber die Richtung
vorgegeben hat. Während die Deutschen weiter in ideologischen Rechts-
links-Schemata denken und vor dem heraufziehenden Kampf der Kulturen
die Augen verschließen, ist Amerika offenbar entschlossen, diesen
Kampf zu führen und seine Aufgabe als Führungsnation der westlichen
Zivilisation ernst zu nehmen. Den überalterten Gesellschaften Europas
macht das Angst. Sie fürchten die damit verbundenen
Unannehmlichkeiten und möchten sich lieber mit Kompromissen über die
Zeit retten: Nach uns die Sintflut!
„In the clash of civilizations“, warnt jedoch der US-
Politikwissenschaftler Samuel Huntington, „Europe and America will
hang together or hang separately.“ Weder Europa noch Amerika allein
werden die westliche Zivilisation und ihre Errungenschaften bewahren
können.
Bei aller Abneigung gegen George W. Bush und das Amerika, das er
repräsentiert, müssen wir daher begreifen, wo unsere Interessen
liegen. Amerika seinerseits muss erkennen, dass es ohne Europa, die
Wiege seiner Zivilisation, nicht Amerika bleiben kann und seine
universalistisch-imperialistischen Neigungen im Zaum halten. „Die
Hauptaufgabe der westlichen Führer“, so Huntington, „ist es nicht, zu
versuchen, andere Zivilisationen nach dem Vorbild des Westens neu zu
gestalten, sondern die einzigartige Qualität der westlichen
Zivilisation zu bewahren, zu schützen und zu erneuern.“
Der Appell geht an Europa und Amerika zugleich. Es steht zu viel
auf dem Spiel, als dass wir unserem Ressentiment freien Lauf lassen
dürften. Wer bereit ist, aus geostrategischen Gründen die islamische
Türkei in die christliche EU aufzunehmen, der kann aus der
Europäischen auch gleich eine Transatlantische Union machen.
ots-Originaltext: WirtschaftsWoche
Digitale Pressemappe: 
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=55137

Kontakt:

WirtschaftsWoche Chefredaktion, Kasernenstraße 67, 40213
Düsseldorf, Tel: 0211-887-2114, Fax: 0211-887-972114

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