Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Tag der deutschen Einheit Es war einmal eine magische Nacht - Leitartikel von Rolf Potthoff
Essen (ots)
Atemberaubend war jene Nacht des 9. November 1989. Selbst die Dumpfesten des Volkes traf sie ins Mark. Unfassbare Szenen: Menschen, die glücklich, staunend, unbehelligt Grenzstationen passieren. Und das war doch die bis auf den Tod schärfstbewachte Grenze der Welt. "Berliner tanzen auf der Mauer", schmiedete in jener Nacht die WAZ ihre Schlagzeile zum historischen Tag der Deutschen. Und wie hoffnungsvoll die Zeit damals vibrierte! Stumpf die atomare Bedrohung, überwunden der Kalte Krieg. "Wind of change" der Scorpions war der Spiegel des Lebensgefühls. Mit Gänsehaut schreibt man diese Zeilen.
Ernüchterung hat das alles vergessen gemacht. Der Alltag war noch stets der Feind der Vision und Kleingeist sein zuverlässigster Helfer. Die Vollendung der Einheit gelang nicht mit dem gesamtdeutschen Elan, wie es die pathetisch patriotische Euphorie des Anfangs verhieß. Bis heute noch nicht.
Die "Brüder und Schwestern", für die man zur Weihnachtszeit einst mitleidig Kerzen ins Fenster stellte, werden heute von vielen im Westen als jammernde Bittsteller diffamiert; unfähig ihr Geschick in die eigenen Hände zu nehmen; gierig nach Solidarpakt-Subventionen. Und "drüben" wird vielfach (gerade von alten SED-Kadern) verklärende Ostalgie zelebriert und das Zerrbild eines arroganten, kalten Westens. Was Gräben vertieft, die es zweifellos gibt, oder kaltschnäuzige Gleichgültigkeit nährt.
Das hat von Anfang an mit den Fehlern beim Ost-Aufbau zu tun. Mit dem Irrglauben, "blühende Landschaften" finanziell mit links züchten zu können. Mit dem erschreckenden Irrsinn, Abermilliarden gen Ost zu transferieren, ohne die Verwendung auf Zweck, Sinn und Effizienz zu prüfen.
Zu tun hat es auch mit politischer Ignoranz, die rechtsextremistisches Treiben bis hin zu mörderischen Exzessen bis heute noch nahezu ignoriert. Und es hat mit gesellschaftspolitischer Blindheit zu tun: erst jetzt, da ganze Ortschaften ausbluten und junge Frauen in den Westen abwandern, um überhaupt eine familiäre Zukunft zu finden, wird das ganze Ausmaß der demografischen Verwerfungen im Osten erkannt.
Um die Einheit final zu vollziehen, wird mehr nötig sein, als Geld in die östlichen Länder zu pumpen. Auch mehr als die Einheits-Jahrestage mit "Pflicht"-Festivitäten zu feiern, wie jetzt in Mecklenburg-Vorpommern. Doch Fakt ist leider auch dies: Wo ist der bzw. wer gibt den Impuls, der wenigstens einige Funken der magischen Nacht jenes 9. November neu entzündet?
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