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WAZ: Kein Platz für den Redner - Obama und die Nörgler. Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Obama kommt, Deutschland freut sich. Deutschland?
Die Kanzlerin freut sich nicht. Und auch aus den Reihen ihrer 
Wunsch-Koalition aus Union und FDP vernimmt man nur Verzagtheiten. 
Das ist schade. Wie viele Gelegenheiten hat es, sagen wir: in den 
vergangenen paar Jahren, für Deutsche gegeben, einem amerikanischen 
Spitzenpolitiker zuzujubeln? Wie oft hatten Deutsche und Amerikaner 
zuletzt die Chance, aufeinander stolz zu sein?
Waren Merkels Einwände gegen einen Auftritt Obamas am 
Brandenburger Tor so kleinkariert wie parteitaktisch durchsichtig, so
sind die Nörgeleien des bürgerlichen Spitzenpersonals wegen des 
Ersatz-Standorts nur noch peinlich. Obama dürfe an der Siegessäule 
nicht auftreten, weil die Adolf Hitler dorthin verfrachtet habe, wo 
sie heute steht. Wenn der liberale Vize-Chef Brüderle die Siegessäule
schon für so gefährlich hält, warum hat er dann nicht schon längst 
ihre Sprengung verlangt? Ist es neuerdings Ausdruck liberaler 
Gesinnung, einem Redner aus dem befreundeten Ausland Vorschriften zu 
machen über den Ort, an dem er sprechen darf? Und wenn die Säule eine
derart "unglückliche Symbolik" darstellt, wie der Unions-Vize 
Schockenhoff meint, wie konnten es die Konservativen dann nur tonlos 
hinnehmen, als eine Million mehrheitlich Jugendlicher seinerzeit bei 
der Loveparade in diese ach so braune Versuchung gerieten? Lukas 
Podolski darf am Brandenburger Tor reden, Firmen dürfen diesen Ort 
sogar zeitweise kaufen, um ihn zu Werbezwecken (!) zu verhüllen, ohne
dass es einen konservativen Aufschrei gegeben hätte über diesen doch 
so augenfälligen Frevel an einem National-Denkmal. Aber wenn Obama 
dort spricht, dann soll dieses deutsche Denkmal darunter leiden? 
Darauf muss man erst einmal kommen.
Wenn Bürgerlichen der Sinn abhanden kommt fürs Populäre - was 
soll's -, es ist immerhin die eigene Chance, die sie vertun. Wenn sie
sich aber nicht mehr verständigen können über das, was patriotisch 
erforderlich ist, geht es an ihr Selbstverständnis. Wer so 
leichtfertig mit seinen Traditionen umgeht, muss sich nicht wundern, 
wenn immer mehr Menschen fragen: Wofür steht ihr überhaupt noch?
Was bedeutet es eigentlich, wenn sich 70, 80 Prozent der 
Deutschen auf diesen Obama freuen, der vielleicht gar nicht Präsident
der USA wird? Vielleicht liegt es daran: der Mann liefert ein 
Mutmacher-Programm, das "unser" verzagtes Berlin schon lange nicht 
mehr auf dem Spielplan hat. Wäre es so, die Kanzler-amtliche Nörgelei
entpuppte sich als bloßer Neid.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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