Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Bloß kein Lagerwahlkampf - Die Menschen haben andere Sorgen - Leitartikel von Angela Gareis
Essen (ots)
Alles noch einmal? Die erste der zahlreichen Wahlen des nächsten Jahres wird sich bedauerlicherweise in Hessen ereignen. Bedauerlich deshalb, weil das quälende Schauspiel um Andrea Ypsilanti und Roland Koch, um Wortbruch und Linkspartei, um rechte und linke SPD sowie Abweichler das zu Ende gehende politische Jahr übermäßig verschattet hat.
Was Bürgern zugemutet worden ist, lässt sich Ypsilanti nicht allein anlasten, auch wenn viele das der Einfachheit halber so sehen möchten. Koch hat mit seinen populistischen Angriffen auf kriminelle ausländische Jugendliche einen Versuch der Spaltung unternommen, obwohl die Dimension der Herausforderung Integration ihm wohl bewusst war. Er wollte die Macht. Ypsilanti hat ihr Wort gebrochen. Sie wollte die Macht. Um diese Vorgänge herum hat sich eine hysterische Diskussion über die Linkspartei entwickelt.
Wenn man entschlossen davon absieht, dass die CDU mit den so genannten SED-Nachfolgern in Ostdeutschland durchaus auf kommunaler Ebene zusammenarbeitet, und dass auch die SPD die Linken im Osten für sympathischer hält als im Westen, kann man eventuell Verständnis dafür aufbringen, dass die etablierten Parteien Angst vor Konkurrenz in ihren Machtrevieren haben. Aber erstens: Die Konkurrenz ist schon da. Zweitens: Sie hat trotz teilweise absurder Ideen eine demokratische Daseinsberechtigung. Und drittens: Diese wird größer, wenn es den Etablierten nicht gelingt, eigene Ängste zu überwinden, um den Blick für Ängste ihrer Wähler zu öffnen.
Nicht jeder blickt frohen Mutes dem neuen Jahr entgegen. Viele treibt in dieser krisenschweren Zeit die Sorge um den Arbeitsplatz um, und dabei geht es nicht nur um das Geld, das nicht mehr zu verdienen wäre, sondern auch um den Arbeitsplatz selbst. Es geht um die tägliche Aufgabe von Menschen ebenso wie um ihre Aufgehobenheit in einer sozialen Umgebung.
Das Wort "sozial" ist nicht nur eine Ergänzung der Wörter "Marktwirtschaft" oder "Transfers". Es hat eine Bedeutung weit über Geld hinaus. Und zum Wesen von Politik gehört es, Vorstellungen von "sozial" nicht nur zu haben, sondern sogar umzusetzen. Da niemand damit rechnen kann, dass im Jahr der Bundestagswahl ein Barack Obama vom Himmel über Berlin steigt, darf man mindestens erwarten, dass die Parteien das Kapitel Hessen halbwegs seriös beenden und der Republik einen Lagerwahlkampf ersparen, den sie im Prinzip schon 2008 erlitten hat.
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