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WAZ: Streit um Opel - Amerika ist anders. Leitartikel von Richard Kiessler
Essen (ots)
Amerikas Präsidenten sind Bürgerkönige. Mit der Inauguration übernimmt ein Mann das Amt, aber auch ein Amt den Mann. Dass Barack Obama im Alltag seinen Glanz verlieren würde, kann nicht überraschen. Es war auch hier zu Lande reines Wunschdenken, Obama werde nach den Bush-Jahren eine ganz andere Politik und die transatlantischen Beziehungen zu einem Himmel voller Geigen machen.
Niemand sollte sich täuschen: Der 44. Präsident der USA vertritt zuallererst US-Interessen. Es gibt zwar mehr Gemeinsamkeiten mit Obama als mit Bush. Es gibt die traditionell engen Bindungen zwischen Europa und den USA. Wir haben gemeinsame Interessen. Wir pflegen ähnliche Vorstellungen von repräsentativer Demokratie, wir teilen gemeinsame Grundwerte, wir halten an der marktwirtschaftlichen Ordnung fest und blicken auf eine lange gemeinsame Kultur- und Geistesgeschichte zurück. Doch wir haben auch Differenzen. Wir sind Konkurrenten - wie der heftige Streit in Sachen Opel zeigt. Unsere Beziehungen schwanken zwischen gegenseitiger Hochschätzung und mitunter herablassender Abneigung. Aus europäischen Augen ist Amerika einfach anders.
Die USA definieren sich seit jeher als Gegenpol zu Europa. Sie entwickelten eigene Denkschulen und Traditionen. Während wir die Dynamik und Kreativität der Amerikaner bewundern, lehnen wir die religiösen Visionen ab, die das politische System in Gods own country zuweilen beeinflussen. Das puritanische Weltbild etlicher christlicher Fundamentalisten im bible belt, das die Menschheit in gut und böse einteilt, gilt den Europäern als kurios.
Sehr präsent ist gerade bei Obama die für Amerika so charakteristische positive Verknüpfung von Macht und Idee. Unter Bushs Neokonservativen gab es dieses Sendungsbewusstsein in pervertierter Form auch. Obama hat seinen Landsleuten den Glauben an sich selbst und an die weltweite positive Mission der USA zurückgegeben.
Es gibt noch zahlreiche Widersprüche im Denken und Handeln: Etwa den unerschütterlichen amerikanischen Glauben an die Kraft des Fortschritts. Oder das auseinanderklaffende Verständnis von Strafe und Sühne bis hin zur Todesstrafe. Schließlich die Überzeugung, dass jeder für sein Glück allein verantwortlich ist, dass Freiheit vor Gleichheit rangiert. Wir sollten die Unterschiede zu Amerika nüchtern und selbstbewusst abwägen und sie für die Entwicklung von künftigen Gemeinsamkeiten nutzen.
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