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WAZ: Streit in der Koalition - Das Armutszeugnis - Leitartikel von Miguel Sanches

Essen (ots)

Ach, unser täglicher Guido Westerwelle. So schädlich
ist die Debatte, die er angezettelt hat, nun auch wieder nicht. 
Schlimm wäre nur, wenn sie folgenlos bliebe - und in ein paar Wochen 
oder Monaten würde dann die nächste Sau durchs Dorf gejagt.
Wenn der FDP-Chef über Hartz IV reden will, bitte schön! Sprechen 
wir über Regelsätze, das Karlsruher Urteil, über Alleinerziehende in 
Not, über die 2,4 Millionen Kinder in und am Rande der Armut. Oder 
über Hinzuverdienstgrenzen und derlei Sperriges. Im Sozialstaat sind 
mit Sicherheit noch große Effizienzreserven. Aber um in der Debatte 
zu bestehen, muss einer sich gut auskennen: Stellschrauben, 
Sachzwänge, die Wechselwirkungen. Westerwelle hat geredet, ohne ein 
Konzept in der Schublade zu haben. Es ist nicht neu, dass einer vor 
allem auf die Lufthoheit bedacht ist. Wer in der Politik sollte den 
ersten Stein werfen? Erstaunlicher ist, dass ihm das keiner 
durchgehen lässt, seine Koalitionspartner schon gar nicht. So kommt 
er Merkel nicht davon. In der Koalitionsrunde wurde ihm das 
Einmaleins der Sozialpolitik vorgerechnet. Der Umgang verrät: Sie 
vermissen bei Westerwelle Substanz.
Sachkonflikte gibt es in jeder Koalition, ebenso kantige Leute. 
Das einzige Alarmzeichen ist, dass Merkel und Westerwelle öffentlich,
in Interviews und Beiträgen, miteinander streiten. Wenn es in einer 
Koalition Mitglieder gibt, die nicht über, sondern miteinander re-den
sollten, dann die Kanzlerin und ihr Vize. Wenn sie sich offen 
streiten, brennt die Luft.
Dabei wird die FDP auch gelinkt. Bei einigen Fragen fordert sie 
bloß, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das gilt für die 
Atom-, die Steuerfrage, und die Kopfpauschale ist auch keine fixe 
Idee der FDP. Die Union hat den Vertrag unterschrieben, aber sich 
vorgenommen, den Liberalen alle Zähne zu ziehen. So entsteht kein 
Vertrauen, kein Respekt, keine Kollegialität. Kollegial wäre, wenn 
man zur Seite steht, wenn der Partner sich verrannt hat. Nicht 
kollegial ist insbesondere, wenn das Rolltor bei jeder FDP-Initiative
gleich ge-schlossen wird. Man könnte meinen, Union und FDP würden 
seit vier Jahren regieren und hätten sich satt. Es sind nur vier 
Monate gewesen.
Westerwelle hat freilich in der Sozialstaats-Debatte auch einen 
kapitalen Bock geschossen. Die SPD sollte ihn zum Mitarbeiter des 
Monats erklären. Das Karlsruher Urteil sollte SPD und Grüne zu denken
geben. Sie haben mit Hartz eine Reform durchgesetzt, die einer 
Prüfung nicht standhielt. Die Genossen müssten ob des Urteils rot 
werden, wenn Westerwelle nicht dazwischen gekommen wäre mit seiner 
spätrömischen Dekadenz.

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Telefon: 0201 / 804-6528
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