Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Steinbrück prangert Gier der Reichen an
Essen (ots)
Der ehemalige NRW-Ministerpräsident und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat mit harten Worten die "Maßlosigkeit" der Privilegierten und Reichen gegeißelt. "Parallelgesellschaften existieren nicht nur am unteren Ende, sondern auch an der Spitze der Einkommenspyramide", sagte Steinbrück in einem Gespräch mit der WAZ. "Dort leben diejenigen, die sagen: Wir brauchen den Staat nicht, jeder Euro Steuerzahlung ist zu viel. Öffentliche Dienstleistungen benötigen wir nicht, wir können sie privat kaufen." Die Gesellschaft sei nicht gefährdet durch Rechts- oder Linksausleger, sondern durch die Protagonisten des Systems selbst. "Es sind die Privilegierten, die durch Maßlosigkeit, den mangelnden Sinn für Balance und Proportionen, durch eine Bereicherungsmentalität an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Ihnen fehlt der Sinn für soziale Bündnisse nach unten, um Verlierer zu integrieren", so Steinbrück. Die Menschen in der Oberschicht müssten erkennen, "dass ihre übersteigerten Gewinnerwartungen zur Zerstörung der Marktwirtschaft führen. Und dass ihre persönliche Einkommensentwicklung so nicht weiterlaufen kann." Gemeinwohlorientierung könne man aber nicht durch Gesetze verordnen. "Das geht nur durch eine breite Debatte", so der Sozialdemokrat. Steinbrück bemängelte auch die zunehmende Distanz zwischen Bürgern und Politikern. "Die Menschen entwickeln nur noch wenig Sympathie für Politiker, die parteipolitisch als sehr selbstbezogen wahrgenommen werden und darüber ihre Realitätswahrnehmung einschränken. Die politische Klasse wird teilweise als dumpfbackig wahrgenommen." Der ehemalige SPD-Parteivize kritisierte auch seine eigene Partei. Er schlug vor, dass SPD-Abgeordnete ihr Mandat verlieren sollten, wenn sie im eigenen Wahlkreis mehrmals weniger Zuspruch erhielten als die Partei insgesamt. "Ich habe Abgeordnete erlebt, deren Erststimmen-Ergebnis regelmäßig viel schlechter ausfiel als das Zweitstimmen-Ergebnis der Partei. Das hinderte sie aber nicht, im selbstreferenziellen System der SPD die lauteste Stimme zu führen. Mir würde dieser Widerspruch zu denken geben", sagte er.
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