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WAZ: Der Protest gegen die Rentenreform - Frankreich - die blockierte Republik - Leitartikel von Gerd Niewerth
Essen (ots)
Brennende Autos, ausgetrocknete Tankstellen und randalierende Jugendliche: Die verstörenden Bilder, die in diesen Tagen aus Frankreich um die Welt gehen, erwecken den schlimmen, jedoch falschen Eindruck, als würde morgen zwischen Lille und Lyon der Bürgerkrieg ausbrechen. Eher offenbart der erbittert geführte Konflikt um die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre, wie reformmüde und mutlos das Land geworden ist. Eine der Ursachen dieses Dilemmas heißt: Nicolas Sarkozy. Seine erschreckende Unbeliebtheit hat er sich selbst zuzuschreiben. Der Rummel um sein Privatleben, Affäre und Skandale sowie sein selbstherrliches Auftreten - ein bisschen Parvenü, ein bisschen Napoleon - gehen vielen Franzosen auf die Nerven. Zu Recht messen sie ihn an seinen eigenen, hohen Ansprüchen: Ist er 2007 nicht mit dem Versprechen angetreten, als entschlossener Reformer endlich Schluss zu machen mit Mauscheleien und Privilegien? Passiert ist das Gegenteil: Gleich nach der Wahl hat Sarkozy Steuergeschenke an die Oberschicht verteilt. Seitdem gilt er als Freund der Reichen. Hinzu kommt, zweitens, die wachsende Unzufriedenheit der Mittelschicht. Viele Franzosen haben das Gefühl, sich abzurackern und trotzdem auf der Stelle zu treten. Dabei haben sie begriffen, dass die Rentenkasse leer und die Reform nötig ist. Viele sind sogar bereit, länger zu arbeiten, jedoch nur wenn es gerecht zugeht, sprich dass auch die Bosse zur Kasse gebeten werden. Die dritte Ursache ist das französische Politik- und Gesellschaftsmodell. Direkt gewählt und obendrein satte Mehrheiten in beiden Parlamentskammern: Nicolas Sarkozy verfügt über eine Machtfülle, von der Angela Merkel nur träumen kann. Doch diese scheinbare Allmacht verführt zum gefährlichen Trugschluss, das Land wie ein absoluter König "durchregieren" zu können. Das in Frankreich bewunderte "model allemand" erweist sich dagegen als ein kompliziertes, aber intelligentes Gebilde aus Sicherungen und Schranken, das Regierung und Opposition, Gewerkschaften und Unternehmen, Bund und Länder von vornherein zum Kompromiss zwingt. So mühselig dieses Tüfteln im Maschinenraum der Demokratie auch sein mag: Würde sich Sarkozy einen Zacken aus der Krone brechen, wenn er den Dialog und nicht die Konfrontation suchte? Stattdessen steckt Frankreichs Staatschef in der Zwickmühle: Gibt er der Wut der Straße nach, kann er gleich zurücktreten. Zieht er das ehrgeizigste und unpopulärste Projekt seiner Amtszeit hingegen unnachgiebig durch, dürfte er spätestens bei der Wahl 2012 dafür die Quittung bekommen.
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