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WAZ: Neues im Fall Wulff - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Neu an dem Fall Wulff ist, dass sich da jemand beharrlich gegen die Skandalroutine sperrt. Seit vier Wochen steht der Bundespräsident nun am Abgrund. Jede neue aufgedeckte präsidiale Unangemessenheit schiebt ihn sozusagen millimeterweise über die Klippe. Aber Wulff verweigert sich der Gesetzmäßigkeit, irgendwann einmal nicht mehr tragbar zu sein. Das macht den Unterschied zu Guttenberg und zu Sarrazin, die, was ihren Rücktritt anbelangte, die allgemeinen Erwartungen erfüllten. Auch die Erwartungen von Journalisten. Es ist noch nie vorgekommen, dass sich die sogenannte vierte Gewalt in einem wichtigen Urteil so einig war. Vielleicht auch wegen dieser Einstimmigkeit müssen sich Medien mit Vorhaltungen auseinandersetzen, sie betrieben eine Jagd. Das stimmt und es stimmt auch wieder nicht. Jede akribische Recherche, das Aufspüren nicht öffentlicher Dokumente, das Aufdecken von Vorteilsgewährungen, die geheim bleiben sollten, alles das hat seinem Wesen nach etwas von einer Jagd. Was aber nicht heißt, dass dies unangemessen wäre. Wulff selbst schafft wie am laufenden Band Anlässe, die Journalisten weitermachen lassen, auch wenn es Dinge gibt, die weitaus wichtiger sind, die Zukunft unserer Währung etwa. Neu ist an der Sache, dass sie nicht endet. Dafür sind nicht nur Medien verantwortlich. In Niedersachsen stellen SPD und Grüne dieselben Fragen. Sie tun dies nicht nur zu Lasten von Wulff, sondern vor allem, um damit dessen Nachfolger McAllister zu schaden. Auch das spricht dafür, dass es in dieser Angelegenheit weitergeht. Neu ist die Erkenntnis, wie einsam es um Wulff bestellt ist. Die CDU freut sich, aber nicht, weil Wulff noch amtiert, sondern weil an ihr nichts von Wulffs Verstrickungen hängen bleibt. Das hat auch mit Merkels Geschick zu tun. Ihre Loyalitätsgesten sind blutleer, ihre Aufklärungserwartungen an Wulff erhöhen die Distanz zu ihm noch. Neu ist die Erfahrung, dass wir Zeuge eines Skandals sind, vor dessen Folgen niemand Angst haben muss. So hat es der Regisseur Dietl dem Spiegel gesagt, dessen Einschätzung, es handle sich um einen "Spießerskandal", der Filmkünstler ausdrücklich teilt. Fazit: Ein Rücktritt ist nicht die einzige Lösung in diesem verwickelten Fall. Eine andere ist der dauerhafte Verlust einer Stimme, die man hätte brauchen können, in dieser Zeit.

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