Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Der Klartext ist richtig. Kommentar von Miguel Sanches
Essen (ots)
Das Säurebad ist zu Ende, all die Kritik und Häme der letzten Zeit. Peer Steinbrück ist daran nicht zerbrochen. Er wirkt rauflustig, unverzagt. Das verdient Respekt, genauer gesagt: seine Haltung. Nüchtern betrachtet kämpft er ja nicht so sehr für sich, sondern für die SPD. Die Aussicht, Kanzler einer rot-grünen Regierung zu werden, ist minimal. Die Chance, Merkels Mehrheit zu vereiteln, ist aber da. Wenn es gelingt, ist die SPD im Spiel; mit wem, das ist eine andere Frage. Über seinen Stolperstart muss man keine Worte verlieren. Er hat sich unter Wert verkauft. Aber jetzt, auf der Schlussgeraden des Wahlkampfs, ruft der Kanzlerkandidat seine Stärken ab: Kompetenz, Erfahrung, Wortwitz und Überzeugungskraft. Nun ist es seine Partei, die Siegeswillen vermissen lässt. Deswegen ist das TV-Duell so wichtig. Ein Erfolgserlebnis muss her, um sich Respekt zu verschaffen, auch in seiner Partei. Sie war oft genug eine Expertin für hoffnungslose Fälle, auf das Patent kommt es wieder an. Steinbrücks Sofortprogramm ist nicht schlecht. Und die Aussicht auf einen Kickstart kann beflügeln. Schauen wir es uns aber genau an: Die Prioritäten liegen in der Innenpolitik, aber gerade hat die Außenpolitik Konjunktur. Die SPD will die Steuern erhöhen, aber die Staatseinnahmen sprudeln. Im Mittelpunkt des Programms steht der Mindestlohn, aber es hat in Wahlkämpfen schon größere Schicksals- und Streitfragen gegeben: die Nato-Nachrüstung, die Kosten der Einheit, der Irak-Krieg. Natürlich ist der Mindestlohn nur ein Mosaikstein. Das Gesamtkunstwerk lautet: Gerechtigkeitswahlkampf. Aber fängt es auch die Gefühlslage im Land auf? Angela Merkel ist in der Tat eine Meisterin des Ungefähren. Es gibt genug Beispiele dafür: die Kosten der Euro-Rettung, der deutsche Einfluss auf die Syrien-Krise, der Neuanfang nach der NSA-Affäre, die Pkw-Maut. Es war einmal ein Kandidat mit einem guten Vorsatz: Klartext reden, das Kontrastprogramm verkörpern. Das kann immer noch verfangen, gerade im direkten Vergleich mit Merkel.
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