Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Ende einer Ära bei Daimler-Chrysler: System Schrempp - Leitartikel von Ulf Meinke
Essen (ots)
Die Nachrufe auf seine Idee der Welt AG waren längst geschrieben. Schon oft hatte man mit einem Rücktritt von Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp gerechnet. Und doch kam der angekündigte Rücktritt nun ebenso plötzlich wie überraschend. Es sollte ein Abgang in Würde und ohne Not sein. Der Konzern präsentierte zum Abschied gepflegte Geschäftszahlen. Ausnahmsweise forderte einmal kein kritischer Kleinaktionär den Rücktritt gerade da geht Schrempp. Nach 44 Jahren im Unternehmen scheidet er aus. Eine Ära endet. Der Betriebsrat bedankt sich artig, der Wirtschaftsminister übermittelt seine Wertschätzung. Man denkt an Blumen zum Abschied eine heile Welt, eine wundervolle Welt AG. Aber die Börse ist gnadenlos. Sie bestellt keine Blumen zum Abschied, sie kauft Daimler-Aktien. Die Botschaft: Endlich ist Schrempp weg. Ob es dem robusten Manager gefallen mag? Wie kaum ein anderer deutscher Vorstandschef hat er der amerikanischen Aktionärskultur das Wort geredet. Nun bekommt er zu spüren, wie bitter Shareholder-Value sein kann, die blanke Orientierung am Börsenkurs. Schrempp hat polarisiert, gewagt, ist grandios gescheitert. Schwaben war ihm zu klein. Daimler in Deutschland, Asien, den USA das war eine Nummer zu groß. Schrempps Traum von einer automobilen Welt AG wurde für die Anleger zur Nachtmahr. Schrempp, der Polarisierer, stand aber auch für eine innerbetriebliche Konsens-Kultur. Sein enges Verhältnis zu Aufsichtsräten und Arbeitnehmervertretern hat ihn beinahe immun gemacht gegen Rücktrittsforderungen von außen. Viel wurde über das System Volkswagen geredet, jahrelang funktionierte auch das System Schrempp. Der Begriff Deutschland AG steht für eine enge Interessen- und Kapitalverflechtung in den Unternehmen. Bei Daimler-Chrysler war sie besonders ausgeprägt. Die Idee der Welt AG ist längst begraben. Nun verabschiedet sich mit Schrempp auch ein Stück Deutschland AG.
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