Alle Storys
Folgen
Keine Story von Westdeutsche Allgemeine Zeitung mehr verpassen.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

WAZ: Karlsruhe verhandelt über Neuwahlen: Die Freiheit der Richter - Leitartikel von Alfons Pieper

Essen (ots)

Der Kanzler äußerte vor Tagen die Erwartung, dass
das Bundesverfassungsgericht den Weg für die Neuwahl am 18. September
freigeben werde. Der Bundespräsident würde sich wundern, so ähnlich
hatte sich Wolfgang Thierse ausgedrückt, wenn Karlsruhe anders
entscheide. Doch in Wahrheit weiß niemand, wie das Votum der acht
Richter ausfallen wird. Die Kläger gegen die Neuwahl, Jelena Hoffmann
und Werner Schulz, Abgeordnete der SPD die eine und Parlamentarier
der Grünen der andere, haben bei der Anhörung das Kanzlervorgehen
kritisiert. Es gäbe keine relevante Krisensituation. Schröders
Vorgehen sei verfassungswidrig. Dem Geist des Grundgesetzes
entspricht es sicher nicht, dass ein Kanzler eine Vertrauensfrage
stellt, um sie bewusst zu verlieren. Dies tat Schröder. Man kann das
eine fingierte Vertrauensfrage nennen. Schröder hat als Beweggrund,
den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, eine instabile
politische Lage angeführt. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung
seiner Reformen sind bekannt. Die Kritiker im Parlament und bei den
Grünen auch. Aber ist das ein hinreichender Anlass für eine Neuwahl?
Bundespräsident Horst Köhler hat dem Wunsch des Kanzlers entsprochen.
Ob Karlsruhe Schröder und Köhler folgt? Aber kann man einen
Bundeskanzler, wie das ein Jurist formuliert, zum Weiterregieren
verurteilen? Es ist für die Karlsruher Richter eine gewaltige Kulisse
aufgebaut worden. Die übergroße Mehrheit der Deutschen will wählen.
Dies wollen die Parteien, nicht nur der Kanzler. Haben die Richter
angesichts der Meinungsbildung der letzten Monate überhaupt die freie
Wahl? Entscheiden sie frei oder weil das von ihnen erwartet wird?
Kann Karlsruhe bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Frage die
politischen Zusammenhänge ignorieren? Der Bundestag sollte nach der
Organklage endlich für klare Verhältnisse sorgen, damit künftigen
Bundespräsidenten derlei Peinlichkeiten erspart bleiben. Das
Parlament braucht ein Selbstauflösungsrecht, das man aber nicht
beliebig, sondern nur in Ausnahmefällen an-wendet, damit daraus keine
instabilen Verhältnisse werden. Eine Dreiviertel-Mehrheit des
Bundestages böte diese Garantie.

Rückfragen bitte an:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Telefon: (0201) 804-0
Email: zentralredaktion@waz.de

Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung