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WAZ: Politischer Sprengstoff - Kommentar von Ulf Meinke

Essen (ots)

Wenn die Dividenden der Großkonzerne angesichts
einer ebenfalls rekordverdächtigen Arbeitslosenquote einen
historischen Höchststand erreichen, ist dies nicht nur
unternehmensstrategisch von Bedeutung, sondern auch sozialpolitisch
brisant. Denn hinter der scheinbar nüchternen Börsennachricht
verbirgt sich die Frage, ob sich auseinander bewegt, was eigentlich
zusammengehört. Erzielen die Aktionäre etwa auf Kosten der
Arbeitnehmer ihre Gewinne – und nicht gemeinsam mit ihnen? Droht auch
in Deutschland das, was Bundespräsident Horst Köhler vor wenigen
Monaten warnend als „wachsende Kluft zwischen Arm und Reich”
skizziert hat?
Er halte, sagte Köhler, „die Zeit für gekommen, die
Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer oder ihre Beteiligung am
Produktivvermögen wieder auf den Tisch zu bringen”. Was der
Bundespräsident mit akademischen Worten anstoßen wollte, war nicht
weniger als eine neue Sozialdebatte angesichts vagabundierender
Gewinne in Zeiten der Globalisierung. Wenn es zur Logik der
Marktwirtschaft gehört, dass die Gewinne immer steigen müssen, dann
sollten die Arbeitnehmer zumindest am Zuwachs beteiligt werden. Auch
Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierte, sie „halte es für wichtig,
die Arbeitnehmer in Zeiten deutlicher Gewinnzuwächse am Erfolg der
Unternehmen zu beteiligen”. (Übrigens wollte schon ihr Vorgänger
Gerhard Schröder die Beschäftigten besser am Gewinn beteiligt sehen.)
Allerdings können wohlfeile Worte entschlossene politische Taten
nicht ersetzen. Es gibt sie zwar, die Beteiligung der Mitarbeiter am
Firmenvermögen, aber es gibt sie zu selten. Kluge Vorstände haben
längst erkannt, dass Mitarbeiteraktien eine höhere Identifikation der
Beschäftigten mit dem Unternehmen und damit auch mehr Motivation
erzeugen. Mitarbeiter von Thyssen-Krupp etwa konnten Aktienpakete zu
Sonderkonditionen erwerben. In diesem Sinne ist es keineswegs
anrüchig, Teilhabe am Unternehmen auch finanziell zu definieren. Der
französische Staat beispielsweise fördert durch steuerliche Vorteile,
dass die Beschäftigten in die Aktien ihres Arbeitgebers investieren.
Staatliche Zuschüsse zu Belegschaftsaktien könnten auch ein Modell
für Deutschland sein und dem Wort Volksaktie einen neuen Klang
verleihen. Die Sorge, der Beschäftigte müsse neben dem Arbeitsplatz-
nun auch das Kapitalrisiko tragen, ließe sich übrigens durch eine
durchaus denkbare Versicherung seiner Beteiligung gegen
Konkursrisiken entkräften.
Es besteht Handlungsbedarf. Erst durch die Opferbereitschaft
vieler Arbeitnehmer konnten die Gewinnsteigerungen der Unternehmen
erreicht werden, die sich nun in Rekorddividenden ausdrücken. Den
Beschäftigten eine sinnvolle Teilhabe am Firmenerfolg zu ermöglichen,
sollte gleichermaßen Aufgabe von Unternehmern und Politikern sein.
Die Alternative schließlich ist bedrohlich: ein kalter Kapitalismus,
in dem zu viele Menschen auf der Strecke bleiben.

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