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WAZ: CDU und SPD flattern die Nerven: Solo für Rüttgers - Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Nun widerspricht ihm sogar der Bundespräsident.
Zuvor hatte er schon Zweidrittel des CDU- wie des SPD-Establishments 
gegen sich aufgebracht, dabei aber Dreiviertel des Volkes auf seine 
Seite gezogen. Wer hätte einem Pulheimer von rheinischem Gemüt schon 
so viel Konfliktpotential zugetraut? Wenn der Satz: viel Feind, viel 
Ehr, stimmt, dann hat Jürgen Rüttgers es in punkto Ehre weit 
gebracht.
Die Machtfrage: Baden-Württembergs Oettinger, Niedersachsens 
Wulff und Hessens Koch lehnen Rüttgers' Linksblinkerei ab. Kunststück
- die letzten beiden konkurrieren mit Rüttgers ums beste Resultat bei
den Wahlen zum Merkel-Stellvertreter Anfang kommender Woche auf dem 
CDU-Parteitag. Der Sieger wäre Kanzlerreserve eins. Oettinger ringt 
um Beachtung.
Die Richtungsfrage: Wulff lehnt eine "Linksverschiebung" der 
CDU-Koordinaten ab, ist einig mit Koch, Oettinger, Sachsens Böhmer 
und Thüringens Althaus sowie dem Berliner Fraktionschef Kauder. Eine 
mächtige, eher liberale Allianz gegen Rüttgers und Premier Müller aus
der Zwergenrepublik Saar. Nun verlangt Wulff: "Kurs halten". Nur - 
welchen? Tatsächlich ist aus einer tagesaktuellen Kleinigkeit ein 
Grundsatzstreit geworden. Er lässt vergessen, dass die CDU nie 
Richtungs-, sondern stets Volkspartei war. So richtig 
marktwirtschaftlich wollte die CDU niemals sein. Dass sie sich 
ständig auf Ludwig Erhard beruft, ist ein gepflegter Irrtum. Erhard 
zog der FDP nur deshalb die CDU vor, weil er glaubte, dort mehr 
Einfluss zu haben. Inhaltlich haderte er stets mit dem so 
wahl-opportunistischen wie erfolgreichen Kurs Adenauers. Die 
dynamische Rente setzte "der Alte" gegen Erhard durch. Den 
Umverteilungsstaat lehnte Erhard rundheraus ab. Auch Kohl, ganz 
Adenauer-Enkel, wollte nie liberal sein wie etwa Englands Thatcher. 
Kohl-Ziehsohn Rüttgers kann sich sogar auf den ersten gewählten 
CDU-Regierungschef Arnold berufen, der NRW zum "sozialen Gewissen der
Republik" machen wollte. Merkels liberale Wende von vor drei Jahren 
war in der CDU-Geschichte ein Ausrutscher: In den nächsten zehn, 15 
Jahren wird die CDU wirtschaftsliberal nicht mehr sein wollen.
Und die SPD? Müntefering wirft Rüttgers "Kumpanei mit der linken 
Wahlalternative WASG" vor. Damit offenbart er nur, wie irritiert die 
SPD ist, derart bedrängt von links wie rechts, und zunehmend 
fremdelnd mit den Gewerkschaften, die in Zeiten des anschwellenden 
Prekariats verlangen, was Rüttgers neuerdings propagiert: mehr 
Sicherheit. Die alte Gewissheit ist vorbei. Nervös ringen die 
Volksparteien ums Volk.

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