Schäuble mahnt ausgewogene Entscheidungen von Bund-Länder-Gipfel am Dienstag an
Osnabrück (ots)
Bundestagspräsident: "Auf so viel Freiheit wie möglich setzen" - "Es ist schier unmöglich, per Gesetz jeden Todesfall zu verhindern"
Osnabrück. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat vor dem nächsten Corona-Gipfel zu ausgewogenen Entscheidungen aufgerufen. Bei den erforderlichen Anti-Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern "bleibt es zentral, dass die Exekutive die Verantwortung des Einzelnen fest im Blick hält und auf so viel Freiheit wie möglich setzt", sagte Schäuble im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Es ist schier unmöglich, per Gesetz jeden Corona-Todesfall zu verhindern", erklärte Schäuble. Es sei daher seine "Grundüberzeugung", dass die Politik die Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens und den Nachteilen der Anti-Corona-Maßnahmen "nicht komplett per Verordnung oder Gesetz auflösen kann, sondern dass die Verantwortung auch in den Händen der Ärzteschaft, von Wissenschaft und Ethikern liegt".
"Die Ressourcen strikt nach verbleibenden Lebensjahren zu verteilen wäre unbarmherzig den Älteren gegenüber", betonte Schäuble. "Das ist nicht mein Verständnis von Menschenwürde, wenngleich ich als 78-Jähriger nicht ganz unparteiisch in dieser Frage bin. Gleichwohl plädiere ich dafür, dass wir, statt alles gesetzlich regeln zu wollen, mehr Zutrauen in die Verantwortung des Einzelnen, also vor allem die der Ärzte, setzen sollten."
Mit Blick auf die Abwägung zwischen Lebensschutz und Kollateralschäden verwies der Bundestagspräsident auf Warnungen der UN und der Welthungerhilfe vor Millionen von Unterernährung und Hungertod bedrohten Menschen durch die Folgen der Pandemiebekämpfung. "Gesperrte Häfen, geschlossene Märkte und unterbrochene Lieferketten treffen Bauern hart. Sie können ihre Ernte nicht mehr verkaufen, und es fehlt ihnen an Dünger und Saatgut, die Nahrungsmittelpreise steigen dadurch massiv. Das zeigt die komplexen Zusammenhänge: Wir können nicht um jeden Preis jedes Leben schützen, und alles andere muss dahinter zurücktreten."
Mit Blick auf die deutsche Corona-Politik forderte Schäuble: "Es braucht weiterhin den offenen Umgang mit den schwierigen Abwägungsprozessen und das flexible Vorantasten, denn niemand weiß alleine, wie es am besten geht." Es gebe auch keinen Wissenschaftler, der den Stein des Weisen besäße. "Wir leben ein Stück weit im Ungewissen. Das gehört zum Leben dazu. Mein Eindruck ist aber, dass in Deutschland die Abstimmung zwischen den Bundesländern nach manchen Verstimmungen, die nicht ausbleiben können, nun so gut gelingt, dass ausgewogene und vernünftige Entscheidungen getroffen werden."
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Schäuble: Corona ist Auftrag an Deutschland und EU zu mehr internationaler Verantwortung
Bundestagspräsident sieht Pandemie als Chance - "Wird uns selbst nicht mehr lange gut gehen, wenn wir nicht zu fairen Lebenschancen für die anderen beitragen"
Osnabrück. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sieht in der Corona-Pandemie einen Auftrag an Deutschland und die EU, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen. "Es wird uns selbst nicht mehr lange gut gehen, wenn wir nicht dazu beitragen, dass auch die anderen eine faire Lebenschance haben. Corona hilft uns, das zu begreifen. Diese Chance sollten wir nutzen", forderte Schäuble im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). "Dass wir Deutschen und Europäer dabei helfen, die unglaublichen Herausforderungen, die sich uns stellen, besser zu meistern, das ist mein großer Wunsch für das Jahr 2021."
Es wäre "ein katastrophaler Fehler", wenn das Virus den Blick für die anderen großen Probleme dieser Welt verstellen würde, warnte Schäuble und nannte "allen voran den Klimawandel und den Verlust an Artenvielfalt, aber auch den Hunger, das Elend und die dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen". Die Pandemie habe sich rasend schnell über den Globus verbreitet. "Das schärft das Bewusstsein dafür, wie eng wir zusammenleben."
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