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NRZ: Eine mutige Entscheidung - Kommentar zum Papst-Rücktritt

Essen (ots)

Der Schock für die katholische Kirche ist immens: Der Papst kündigt seinen Rücktritt an. Ein historisches Ereignis; in modernen Zeiten ohne Beispiel. Nicht nur Katholiken sind tief bewegt, manche gar erschüttert: Ein Papst tritt nicht zurück. Bis gestern gehörte das zu den sicheren Gewissheiten des Lebens. Nun ist auch darauf kein Verlass mehr. Benedikt XVI., oft unterschätzt, viel verleumdet, hat die Welt verblüfft. Seine überraschende Entscheidung ist mutig. Vor allem ist sie zutiefst menschlich: Da sagt einer der mächtigsten Männer der Welt: Ich schaffe es nicht mehr. Ich trete zurück. Davor kann ich nur Hochachtung empfinden. Gerade, weil man allzu leichtfertig übermenschliche Eigenschaften mit dem "Heiligen Vater" verbindet, ist der Entschluss von Benedikt XVI. bewundernswert ehrlich. Er wird das Papstamt entmystifizieren und nachhaltig verändern.

Auch Benedikts Nachfolger werden ihr Pontifikat nicht notwendigerweise auf dem Totenbett beenden müssen. Joseph Ratzinger, der durch das populäre Vorurteil als Reaktionär verkannt wird, hat sich mit seiner Rücktrittserklärung als großer Modernisierer erwiesen. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass auch der Nachfolger des Petrus offen mit der Bürde des Alters umgehen muss. Um die Weltgemeinde der Katholiken leiten zu können, bedarf es nicht nur geistiger, sondern auch körperlicher Leistungsfähigkeit. Zu Joseph Ratzinger passt die rationale Entscheidung, im respektablen Alter von 85 Jahren das Amt des Oberhirten niederzulegen. Sein Vorgänger ging einen anderen Weg. Er wollte das Kreuz bis zum bitteren Ende tragen.

Johannes Paul II. war ein ebenso begnadeter Seelsorger wie Fernsehstar. Noch sein öffentliches Sterben war ein Requiem zu Lebzeiten und zugleich ein ungeheures Medienereignis. Allerdings war der Vatikan gleichsam mit dem Papst gelähmt. Auf ganz andere Weise nimmt Benedikt sein Schicksal an und gibt damit der Kirche in schwerer Zeit die Chance und die Freiheit, sich schnell neu aufzustellen. Mit dem überraschenden Rücktritt hat er auch die Vatikan-Intriganten ausgetrickst, die längst seine Gebrechlichkeit ausnutzen, um sich selbst in Stellung zu bringen. Denn Päpste fallen nicht vom Himmel. Sie werden "gemacht". Benedikts fast achtjährige Amtszeit ist von der Gabe des Wortes geprägt, die sein persönliches Charisma ist. Kein anderer kann das Wunder des christlichen Glaubens so verständlich und schön in Worte fassen. Seine Themen sind die großen, ewigen Glaubenswahrheiten, nicht die Tagespolitik. Die römisch-katholische Kirche bewegt sich in einem anderen Zeitgefühl als die Gesellschaft. Entsprechend schwer tut sie sich mit Veränderungen. Unterdessen stehen die Medien vor der Tür und scharren mit den Hufen. Sie wollen schnelle Ergebnisse, denn sie arbeiten nach anderen Rhythmen. Erkennbar war das nicht die Welt von Joseph Ratzinger.

Dennoch wird man sich an ihn, den religiösen Denker aus Deutschland, als großen Papst erinnern. In wahrhaftiger persönlicher Bescheidenheit hat er vorgelebt, was der heilige Bernhard von Clairvaux schon im 12. Jahrhundert allen Päpsten als Tugend angeraten hat: "Erinnere dich, dass du nicht Nachfolger von Kaiser Konstantin, sondern der Nachfolger eines Fischers bist." Erstmalig in der Moderne wird ein Papst nicht beerdigt, sondern verabschiedet. Wir haben allen Grund, Joseph Ratzinger einen glücklichen Lebensabend zu wünschen. Danke, Heiliger Vater.

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