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neues deutschland: Historiker Gentile bedauert späte Bereitschaft, NS-Verbrechen aufzuarbeiten

Berlin (ots)

Nie war die Bereitschaft in der deutschen Nachkriegsgesellschaft höher als heute, NS-Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg zu verfolgen. Weitere Urteile wie im Fall Josef Scheungraber, der wegen der Ermordung von Zivilisten im italienischen Falzano di Cortona im Juni 1944 als Wehrmachtssoldat in München verurteilt worden ist, sind aber kaum zu erwarten, meint der Historiker Carlo Gentile. "Auch wenn die Gesellschaft jetzt viel eher bereit ist, diese Verbrechen zu verfolgen und vor Gericht zu bringen, geschieht dies mit einem juristischen Instrumentarium, das keine den Dimensionen und der Natur der NS-Verbrechen angemessene rechtliche Grundlage bildet. Wir kommen leider zu spät und mit stumpfen Waffen", so Gentile im Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland (Montagausgabe).

Der an der Universität zu Köln tätige Geschichtswissenschaftler hat bei einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren in Italien und Deutschland als Sachverständiger mitgewirkt. Er warnt davor, die Bedeutung der NS-Kriegsverbrechen im heutigen Italien zu unterschätzen. "Zehntausend Zivilisten wurden zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1945 von deutschen Soldaten ermordet", so Gentile. Dazu komme ein weiterer Aspekt: "Die psychologischen Ausmaße solcher Massenverbrechen sind enorm. Wenn die Eltern oder andere enge Angehörige getötet worden sind, ist das für die Überlebenden eine existenzielle Frage."

Als Experte für den Partisanenkampf und NS-Verbrechen arbeitete Gentile auch in der deutsch-italienischen Historikerkommission mit. Sie empfahl den Regierungen von Deutschland und Italien in ihrem Abschlussbericht u.a. die Einrichtung einer Gedenkstätte für die italienischen Militärinternierten in Berlin Niederschöneweide. "Das ist erinnerungspolitisch sehr wichtig und es ist von Bedeutung, dass dies in Schöneweide geschieht, wo noch Originalgebäude eines Zwangsarbeiterlagers existieren", ist der Historiker überzeugt. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes, die "nd" vorliegen, soll ab 2014 eine Dauerausstellung als Teil der Gedenkstätte zur NS-Zwangsarbeit in Berlin Niederschöneweide und als Ort des Gedenkens eingerichtet sein.

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