neues deutschland: Zur Gerüchteküche in der Flüchtlingskrise
Berlin (ots)
Anders als »kalt« kennt »wahr« keine Steigerung: Wahr oder nicht, so sagt es der Duden. Doch tatsächlich trennt Wahrheit nicht »richtig« und »falsch«. Wahrheit macht Sinn und gibt Orientierung. Sie schöpft aus Haltung und will verändern. Die Geschichte hat das schon oft gesehen. Nicht die »Aufklärung« zündete die Französische Revolution, sondern die »Grande Peur«: Man glaubte, der Adel schicke Diebesgesindel aufs Land. Das war nicht richtig, der Grund war die Krise. Aber es machte sich wahr und es wirkte. Auch um die Flüchtlinge ist vieles wahrer als richtig. So hat jüngst in Traunstein keine Flüchtlingsgruppe ein Mädchen in einer Unterführung vergewaltigt. Und niemand vertuscht das. Es gab in Traunreut, fern jeder Unterführung, in der Silvesternacht einen Übergriff. Der einzelne Täter wird belangt. Jetzt erlebt auch Berlin seine Welle der Wahrheit. Zu jener 13-Jährigen, die längst Kampagnenstoff ist, hatten womöglich Männer Kontakte, die das Gesetz verbietet. Mit Asyl hat das nichts zu tun. Und nun ist auch kein Flüchtling verstorben, weil er beim Schlangestehen eine Grippe verschleppte. Es kann dort sehr kalt sein und viele husten. Prüfen statt Glauben wird jetzt empfohlen. Das ist schon richtig, aber nicht menschlich. Das Leben ist ein Haufen einzelner Fälle, und wir sind nur »symbolische Tiere«. Wir brauchen die Wahrheit, um die Welt zu ordnen. Unsere Haltung ist das, worüber wir streiten können und sollten.
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