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Aachener Nachrichten: Kommentar zu Stammzellen-Gesetz: Das Stammzellen-Dilemma;Die Koalition will den Stichtag verschieben

Aachen (ots)

Von Axel Borrenkott / Es gibt wohl kaum ein
politisches Aufreger-Thema, das die große Mehrheit der Bevölkerung 
inzwischen weniger aufregt als die Debatte um das Stammzellgesetz. Ob
und wann mithilfe von Stammzellen einmal Alzheimer, Parkinson, 
Diabetes, Krebs oder gar das Herz geheilt werden können: das möchte 
man wissen. Warum hingegen die Stichtagsregelung des deutschen 
Stammzellgesetzes so bedeutend ist und immer wieder Anlass zu 
erneuten Debatten unter Politikern, Wissenschaftlern, kirchlichen und
weltlichen Moralexperten gibt: das muss man jedes Mal neu erklären.
Das liegt auch daran, dass dieses vom Bundestag im Juni 2002 
verabschiedete Gesetz letztlich Ausdruck einer Doppelmoral ist und 
sich am eigentlichen Problem vorbeimogelt. Keine Stammzelllinie darf 
importiert werden, die nach dem 1. Januar 2002 angelegt wurde. Das 
soll verhindern, dass eigens für Forschungszwecke in Deutschland 
Embryonen getötet werden.
Doch die hierzulande erlaubten, älteren Linien stammen ja auch von 
Embryonen, die zu diesem Zwecke getötet wurden. "Die Finger sollen 
sich die anderen dreckig machen", brachte das kürzlich der 
Stammzellpionier Rudolf Jaenisch auf den Punkt. Ein Deutscher, der 
schon lange in den USA forscht und "keinem Forscher raten würde, nach
Deutschland zu gehen".
Eine knappe Mehrheit des Nationalen Ethikrats hat nun empfohlen, den 
Stichtag ganz abzuschaffen und von Fall zu Fall zu entscheiden. Das 
wird so nicht kommen, dafür wird es auf Jahre hinaus keine politische
Mehrheit geben.
Stattdessen wurde seit einiger Zeit hinter den Kulissen getestet, ob 
eine Verschiebung der Stichtagsregelung mehrheitsfähig ist. Selbst 
die evangelische Kirche soll dazu bereit sein. Ein entsprechendes 
Gesetz soll nun in der Großen Koalition auf den Weg gebracht werden. 
Endlich, werden die Wissenschaftler sagen, die sich von der 
internationalen Forschung abgekoppelt sehen.
 Mit der Verschiebung des Stichtags würde aber auch das existenzielle
moralische Problem wieder nur verschoben. Entweder ist ein Embryo in 
dem Stadium, in dem man ihm die Stammzellen entnimmt, ein Wesen, dem 
wir Menschenwürde zusprechen. Dann darf es nirgendwo, zu keinem 
Zeitpunkt und von niemandem getötet werden.
 Oder man erklärt die fünf Tage alten, 32 bis 64 Zellen umfassenden 
Gebilde (Blastozysten in der Fachsprache) zu dem, was sie biologisch 
einfach sind: Ein kleiner Zellhaufen, der sich alleine zu gar nichts 
entwickeln könnte.
 Und wenn es hilft?
Ein fast unmenschlich schwieriges ethisches Dilemma. Andere 
Demokratien haben es praktisch gelöst, indem sie die vielen Leben, 
die vielleicht einmal mithilfe der Stammzellenforschung gerettet 
werden können, für höherwertiger erklären als das Lebensrecht der 
ersten Zellen. Ob diese Forschung aber jemals zu solchen Therapien 
führen wird, ob jemals ein Diabetes oder Krebs davon geheilt wird, 
ist völlig ungewiss.
 Wenn es aber irgendwo auf der Welt gelingt, dann wird jedes deutsche
Gesetz, das Forschung behindert, sofort hinfällig. Dann könnte man 
keinem deutschen Patienten mehr diese Behandlung verweigern. Dann 
aber würde erst recht gelten: Die anderen haben sich "die Finger 
dreckig" gemacht, und wir profitieren davon. Und deshalb bleibt auch 
die Debatte um Stammzellen und Stichtage ein aufregendes Thema.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Aachener Nachrichten
von Wilpert Wolfgang
Telefon: +49(0)241/510 418
w.vwilpert@zeitungsverlag-aachen.de

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