Aachener Nachrichten: Kommentar zu Freisprüchen im "Ehrenmord"-Prozess: Richter sind keine Racheengel
Aachen (ots)
Von Rudolf Teipel / Um gleich 'mal mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Wenn die obersten Richter des BGH die Freisprüche im Berliner "Ehrenmord"-Prozess aufheben und den Fall zur Neuverhandlung an das Kammergericht zurückverweisen, bedeutet das nicht, dass Hatun Sürücüs freigesprochene Brüder nun sozusagen vollautomatisch wegen Mordes verurteilt werden. Vielmehr müssen bestimmte Zeugenaussagen neu ausgeleuchtet und daraus resultierende eventuell fehlerhafte Beweiswürdigungen in der Urteilsbegründung überprüft werden. Kann juristisch glasklar nachgewiesen werden, dass die älteren Brüder an der Bluttat ihres mittlerweile rechtskräftig verurteilten jüngsten Bruders gegen ihre Schwester beteiligt waren oder davon gewusst haben, sind sie wegen Mordes zu verurteilen. Wenn nicht, dann nicht. Das ist eigentlich eine rechtsstaatliche Binsenweisheit - und doch sind die nun erneut mit dem Fall Sürücü befassten Richter am Berliner Kammergericht nicht zu beneiden. Denn über die eigentliche juristische Würdigung des Tathergangs beim Mord an Hatan Sürücü hinaus schwingen ganz andere, eigentlich dem Rechtswesen ferne Einflüsse und Erwägungen im Berliner Verfahren mit: die öffentliche Empörung über archaische Strukturen in Teilen einer in Deutschland lebenden türkischen Parallelgesellschaft, die zu solchen Monstrositäten wie dem "Ehrenmord" an Hatun Sürücü führen können; die Enttäuschung über die offenkundig gescheiterte Integration in die westliche Kultur eben dieser Türken; und nicht zuletzt der Ruf nach kompromissloser Durchsetzung westlicher Moral- und Lebens-Prinzipien. Um es ganz deutlich festzustellen: All das kann nicht Entscheidungsgrundlage der Berliner Richter sein. Sie haben einzig und allein die juristischen Fakten im Mordfall Sürücü auf der Basis des Strafgesetzbuches zu werten. Alles, was darüber hinausgeht, ist Sache der Politik, des kulturellen Lebens, der Gesamtgesellschaft. Richter sind keine Racheengel alttestamentarischer "Auge um Auge, Zahn um Zahn"-Prinzipien. Daran ist im Sinne eines funktionierenden Rechtsstaats immer festzuhalten. So abscheulich der Mord an Hatun Sürücü auch gewesen ist.
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