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Aachener Nachrichten: Im Augias-Stall - warum Tsipras eine faire Chance von der EU verdient hat. Kommentar von Joachim Zinsen

Aachen (ots)

Der griechischen Sage zufolge waren die Ställe von König Augias 30 Jahre lang nicht gereinigt worden. Erst der Halbgott Herakles nahm sich der Aufgabe an. Er allein mistete sie innerhalb eines Tages aus. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in Griechenland ein neuer Augias-Stall entwickelt. Korruption und Vetternwirtschaft waren dort an der Tagesordnung - egal, ob die konservative Nea Dimokratia oder die sozialdemokratische Pasok den Regierungschef stellten. Im Hintergrund agierte immer eine kleine Schicht von Oligarchen und Superreichen. Ihr Einfluss und ihre Privilegien wurden bis heute nicht angetastet - auch in jüngster Zeit nicht, als das Gros der Griechen unter bitteren Einschnitten zu leiden hatte. Die neue Syriza-Regierung steht nun vor einer ähnlichen Mammutaufgabe wie einst Herakles. Doch ihr Chef Alexis Tsipras ist kein Halbgott. Und er wird länger als einen Tag brauchen, wenn er sein Versprechen einhalten will, mit dem alten System zu brechen. Vor allem aber ist er auf Hilfe angewiesen. Diese Hilfe muss auch von der EU kommen. Sie sollte Tsipras eine faire Chance für einen Neuanfang geben. Dazu gehört zunächst eine ehrliche Bestandsaufnahme des bisherigen europäischen Krisenmanagements. Nötig ist die Einsicht, dass die vor allem von Berlin diktierte Austeritätspolitik, also der strikte Spar- und Lohnkürzungskurs, nicht nur in Griechenland, sondern auch in vielen anderen südeuropäischen Staaten gescheitert ist. Ökonomisch und sozial waren ihre Auswirkungen verheerend. In Griechenland hat sie zudem die Staatsschulden weiter in die Höhe getrieben. Deshalb muss die EU mit der neuen Regierung in Athen über eine Restrukturierung ihres Schuldendienstes verhandeln. Die von Tsipras ins Spiel gebrachte Idee einer Europäischen Schuldenkonferenz verdient Unterstützung. Denn eines ist sicher: Ohne eine Verringerung der erdrückenden Finanzlast wird Griechenland nie auf die Beine kommen. Ohne einen großen Investitionsplan für den gesamten europäischen Süden wird die Krise weiter gären. Politisch ist solch ein Kurs natürlich gerade in Ländern wie Deutschland schwer zu vermitteln. Deshalb müssen auch Tsipras und die EU liefern. Tsipras kann seine finanzielle Manövriermasse erhöhen und seinen politischen Spielraum ausweiten, wenn er endlich die Vermögen der reichen Griechen vernünftig besteuert. Die bisherigen Regierungen in Athen haben sich davor immer gedrückt. Europa wiederum kann das nötige Geld für den Wiederaufbau bereitstellen, wenn endlich die seit Jahren angekündigte Finanzmarktsteuer eingeführt wird. Scheitert Tsipras mit seinem Plan - wohlmöglich an seinem nationalistisch-konservativen Koalitionspartner "Unabhängige Griechen" - wird dem großen Jubel in Athen bald ein heftiger politischer Kater folgen. Schafft es die EU nicht schnell, die enormen Lasten der Krisenbewältigung gerechter zu verteilen, wird der Euro-Raum vor immer dramatischeren Zerreißproben stehen.

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