Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur US-Spionage: Freunde "dritter Klasse" von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Freunde "dritter Klasse" zu sein - das tut weh. So kategorisiert der US-Geheimdienst NSA Deutschland, dessen Kommunikation grenzenlos überwacht wird. Nirgendwo sonst in Europa schnüffeln die Amerikaner so viel wie hier. Das mag zum einen an den wichtigen Internet-Knoten liegen, die den Datenverkehr mit Krisenregionen abwickeln. Und mit der Rolle, die eine Hamburger Al-Kaida-Zelle bei der Vorbereitung der Anschläge vom 11. September spielte. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Enthüllungen der streng geheimen NSA-Dokumente im "Spiegel" belegen, dass es dem Geheimdienst nicht nur um die Terrorbekämpfung geht. Die Freunde selbst werden bespitzelt. Von den Bürgern auf der Straße über Firmen und die nationalen Regierungen bis hin zu den EU-Einrichtungen in Washington, New York und Brüssel. Nicht zu vergessen die mindestens 38 Botschaften in der US-Hauptstadt. Das verlangt umfassende Aufklärung durch die US-Regierung, die sich bisher einsilbig gibt. Außenminister John Kerry versucht, den Skandal herunterzuspielen, wenn er meint, es sei doch eine "ganz normale Sache" Informationen über andere Staaten zu sammeln. Nicht wirklich. Das Ausmaß der Schnüffeleien sprengt jeden akzeptablen Rahmen und riskiert einen Vertrauensbruch. So etwas macht man unter Freunden nicht. Vor allem untergräbt es das bisherige Narrativ. "Prism", "Tempora" und "Boundless Information" haben nicht nur Terroristen im Visier, sondern offenkundig auch die Geheimnisse von Unternehmen, Forschern, Journalisten, Diplomaten und Politikern befreundeter Staaten. Die transatlantischen Freunde genießen vor der Spionagewut des NSA nicht mehr Schutz als die Kommunikation in Schurken-Staaten wie etwa dem Iran und Syrien. Die Amerikaner setzen auf nicht allzu hartnäckige Nachfragen durch die betroffenen Regierungen, weil diese nicht so ahnungslos gewesen sein dürften, wie sie sich geben. Schließlich kooperiert der Bundesnachrichtendienst traditionell eng mit den Amerikanern. Dass den deutschen Auslandsspionen nicht der geringste Verdacht über das Treiben des NSA gekommen sein soll, klingt nicht besonders glaubwürdig. Andernfalls erledigte der BND seinen Job ziemlich unprofessionell. In dieser Situation fällt den Parlamenten in Berlin und Straßburg mehr denn je die Aufgabe zu, ihre Kontrollfunktion auszuüben und "Big Brother" zu stoppen. Eine Rolle spielen auch Gerichte, die sich mit der Verletzung von Grundrechten, strafrechtlichen Verstößen und der Missachtung des Datenschutzes befassen. Schließlich können die Bürger Druck machen - indem sie Google, Microsoft & Co., die sie im Kleingedruckten möglicherweise beim Datenschutz angeschwindelt haben, zur Verantwortung ziehen. Dagegen gilt es außenpolitisch kühlen Kopf zu bewahren. Der angerichtete Schaden der Schnüffeleien für das transatlantische Verhältnis ist schon so erheblich. Obama steht in der Gefahr, als "falscher Freund" gebrandmarkt zu werden. Er sollte es zur Priorität machen, das verloren gegangene Vertrauen schleunigst wiederherzustellen. Dafür muss er seine außer Rand und Band geratenen Geheimdienste an die Leine legen. Die EU-Regierungen sollten ihrerseits geschlossen darauf drängen, dass ihre Bürger nicht Freiwild der US-Geheimdienste sind. Gebraucht wird ein umfassendes Datenschutzabkommen. Anders hat es wenig Sinn, über Freihandel zu verhandeln oder die Kooperation beim Austausch personenbezogener Daten dauerhaft fortzusetzen. In jedem Fall aufhören muss die nahezu totale Überwachung des Telefon- und Internetverkehrs, der - siehe Boston - nicht einmal das vorgegebene Ziel der Terrorabwehr erreicht. Die Missachtung elementarer Grund- und Freiheitsrechte für ein bisschen mehr Sicherheit ist nicht akzeptabel.
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