Mittelbayerische Zeitung: Steinbrück: Die Partie ist noch nicht zu Ende Der SPD-Kanzlerkandidat im Interview
Regensburg (ots)
MZ: Herr Steinbrück, als Schachspieler wissen Sie, wie man eine Dame unter Kontrolle hält. Warum gelingt Ihnen das nicht bei Angela Merkel?
Steinbrück: Das sagen Sie, aber die Partie ist noch nicht zu Ende gespielt. Gerade als Schachspieler sage ich Ihnen: Häufig geht eine sicher geglaubte Partie plötzlich ganz überraschend aus. Ich bin überzeugt, dass Frau Merkels Strategie des Ungefähren, des Ausweichens und des Einschläferns dieses Mal nicht aufgeht.
MZ: Die SPD macht Wahlkampf mit Themen -- die Union mit Merkel. Frustriert Sie, dass Sie vom politischen Gegner mit Missachtung gestraft werden?
Steinbrück: Nein, überhaupt nicht. Der allein auf die Person Merkel ausgerichtete Wahlkampf der Union macht es uns sogar einfacher, den Unterschied klar zu machen. Ich will dieses Land politisch gestalten und nicht nur verwalten. Ich setze auf einen themenbezogenen Wahlkampf, der die Fragen aufgreift, die den Bürgerinnen und Bürgern unter den Nägel brennen. Bei mir wissen die Wählerinnen und Wähler genau woran sie sind.
MZ: CDU/CSU und FDP werden nicht müde, vor einer rot-rot-grünen Koalition zu warnen. Können Sie den Wählerinnen und Wählern garantieren, dass es so eine Koalition nach der Wahl mit der SPD nicht geben wird?
Steinbrück: Das ist typisch. Wenn den Konservativen die Argumente ausgehen, holen sie die Propagandakeule aus der Mottenkiste. Doch diese Leier verfängt im Jahr 2013 nicht mehr. Die gesamte Führung der SPD hat mehrfach erklärt: Wir werden weder mit der Linkspartei koalieren, noch uns von ihr tolerieren lassen.
MZ: Woran würde man ein rot-grün regiertes Deutschland im Gegensatz zu einem schwarz-gelb regierten erkennen - als Deutscher und als EU-Bürger? Die Bürger scheinen doch gar nichts anderes zu wollen; zumindest, wenn man den Umfragen Glauben schenkt.
Steinbrück: Das ist ein Trugschluss. Die Bürgerinnen und Bürger wissen sehr genau, dass die Zukunftsfähigkeit dieses Landes nicht zu erreichen ist, indem man die Probleme aussitzt. Frau Merkel hat es sich leicht gemacht, sie zehrt von den Reformen der rot-grünen Vorgängerregierungen und lebt von der Substanz. Eine rot-grüne Bundesregierung und meiner Führung wird einen sofortigen Politikwechsel vollziehen. Weg von ergebnislosen Gipfeltreffen im Kanzleramt hin zu Entscheidungen. Bereits in den ersten 100 Tagen werden wir einen Großteil der Reformen umsetzen, für die wir im Wahlkampf werben, wie die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, die Mietpreisbremse, die Abschaffung des Betreuungsgeldes und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes - um nur einige Maßnahmen meines 100 Tage Programms zu nennen. Haben sie etwas Vergleichbares von der Regierung gesehen?
MZ: Schwarz-Gelb behauptet, Rot-Grün wolle den Bürgern an den Geldbeutel. Was kostet den Wähler ein Wahlsieg der SPD?
Steinbrück: Ich erlaube mir eine Gegenfrage. Was kostet es die Bürgerinnen und Bürger, wenn diese Regierung im Amt bleibt? Ich meine zum Beispiel die steigenden Energiepreise. Oder die Einführung einer PKW-Maut. Das trifft uns alle. Die von uns geplanten Steuererhöhungen, auf die Sie mit ihrer Frage abzielen, betreffen jedoch nur 5% der einkommensstärksten Bürger und diejenigen, die die höchsten privaten Vermögen haben. Ich bin der Auffassung, dass diese starken Schultern mehr zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen sollten als in der Vergangenheit.
MZ: Könnte Ihnen Ihre Ehrlichkeit in Sachen Steuererhöhungen nicht am Ende den Sieg kosten?
Steinbrück: Das glaube ich nicht, denn wir sind nicht nur ehrlich, sondern auch transparent. Wir sagen genau wofür wir diese Mehreinnahmen verwenden werden: Zur Schuldentilgung, zur finanziellen Entlastung der Kommunen, zum Ausbau der Infrastruktur und für mehr Investitionen in Bildung. Von diesen Maßnahmen profitieren wir alle. Mehr noch - es ist auch eine Politik zum Nutzen unserer Kinder und Enkelkinder.
MZ: Ihr Wahlkampf zielt auf das Thema Gerechtigkeit. Wäre es dann nicht auch gerecht, ausländische Autofahrer für die Benutzung unserer Autobahnen zahlen zu lassen? Auch ein Großteil der SPD-Wähler in Bayern findet eine Pkw-Maut für Ausländer gut.
Steinbrück: Die Ausländer an den Kosten zu beteiligen ist nur ein vorgeschobenes und sehr populistisches Argument. Im Grunde geht es Seehofer darum, eine Finanzierungsquelle für die marode Infrastruktur zu erschließen. Was Seehofer und Konsorten nämlich verschweigen ist, dass es rechtlich gar nicht zulässig ist, eine Maut nur für Ausländer einzuführen. Auch die Verrechnung mit der Kfz-Steuer geht nicht. Das besagt ein internes Gutachten aus dem Justizministerium. Es würde also unweigerlich zu einer Maut für alle Autofahrer kommen. Die CSU ist sich nicht zu schade, die Menschen hinter die Fichte zu führen. Und Frau Merkel hat ihr klares Wort im TV-Duell mit mir, dass es mit ihr keine PKW-Maut gäbe, längst schon wieder relativiert. Ich hoffe sehr, dass sie dafür einen Denkzettel von den Wählerinnen und Wählern bekommen. Das ist übrigens auch die Meinung des ADAC.
MZ: Wäre es nicht gerecht, nicht nur die Krankenversicherung zu vereinheitlichen, sondern auch das System der Altersvorsorge? Anders gefragt: Ist es gerecht, dass es Unterschiede zwischen Pensionen und Renten gibt?
Steinbrück: Gerade bei den Beamten gibt es eine große Spreizung: ein Großteil der Beamtinnen und Beamten verfügt weder über besonders hohe Gehälter noch über besonders hohe Pensionsansprüche. Sie stehen oft nicht viel besser da als normale Rentner. Zweifellos gibt es aber bei der Beamtenversorgung Vorteile gegenüber den abhängig und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die sich ihre Rentenansprüche durch Beitragszahlungen erarbeiten müssen. Die SPD will deshalb die gesetzliche Rentenversicherung stärken und langfristig auf alle Erwerbstätigen ausdehnen - in dieser Reihenfolge. Unser Ziel ist, dass langfristig alle Erwerbstätigen, unabhängig von ihrer Erwerbsform, auf die gleiche Art und Weise für das Alter versichert sind.
MZ: Hat Deutschland sich mit seiner zögerlichen Haltung zu Syrien außenpolitisch blamiert?
Steinbrück: Die deutsche Außenpolitik steht vor einem Trümmerhaufen. Wir haben uns in Europa vollständig isoliert. Wir sind kein berechenbarer Partner mehr und werden nicht mehr ernst genommen. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Europäer sich auf eine Position verständigen, während Frau Merkel im Flugzeug sitzt. Dies ist letztlich auch das Ergebnis eines Kompetenzwirrwarrs zwischen Kanzleramt und Auswärtigen Amt. Die Linke weiß nicht was die Rechte tut - einfach nur dilettantisch.
MZ: Würde eine Regierung Steinbrück einen Militäreinsatz gegen Syrien mittragen?
Steinbrück: Nein, ich bin fest davon überzeugt, dass eine militärische Strafaktion falsch ist. Dadurch verschlimmert sich die Lage der Zivilbevölkerung und es droht eine nicht mehr beherrschbare Kettenreaktion im Pulverfass Naher Osten. Die aktuelle Entwicklung eröffnet eine Chance für eine Verhandlungslösung. Ich teile Helmut Schmidts Maxime: Lieber hundert Stunden verhandeln als eine Minute schießen.
MZ: Die Euro-Schuldenkrise schwelt weiter. Finanzminister Wolfgang Schäuble spricht von einem dritten Hilfspaket. Drohen den Bürgern weitere Belastungen - auch durch einen potenziellen Schuldenschnitt?
Steinbrück: Ich hoffe, dass ein Schuldenschnitt vermieden werden kann. Das würde wieder sehr viel Unsicherheit erzeugen und dem Konsolidierungsprozess schaden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt. Dazu brauchen wir auch Wachstumsimpulse. Merkels einseitige Spardiktat würgt das Wachstum ab.
MZ: Sie haben im TV-Duell die schwarz-gelbe Pflege-Bilanz kritisiert. Sollte die SPD nach dem 22. September Regierungspartei sein: Wie lange müssen die Betroffenen darauf warten, bis der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff umgesetzt wird und was werden die ersten Schritte sein?
Steinbrück: Wir wollen nach den Wahlen sofort eine große Pflegereform einleiten. Das Wichtigste für die Betroffenen sind bessere Leistungen für Demenzkranke, eine gerechte und solide Finanzierung sowie bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Deshalb stehen ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Bürgerversicherung ganz oben auf Aufgabenliste und kommen schnell zur Wirkung. Eine große Pflegereform umfasst aber noch mehr: Bessere Betreuungsangebote in den Kommunen, neue Wohnformen, bessere Ausbildung und vieles mehr. Schwarz-Gelb hat alles liegen lassen, sodass wir die 3-4 Jahre der Legislaturperiode brauchen werden, um das in mehreren Schritten abzuarbeiten. Die Pflege liegt mir sehr am Herzen. Ich will, dass die Menschen schnell spüren, dass wir sie nicht allein lassen.
MZ: In Bayern wird SPD-Spitzenkandidat Christian Ude nicht müde zu betonen, dass alles, was sich die CSU auf die Fahnen schreibt, von der SPD abgeschrieben wurde. Wenn Ihre Partei das Original ist: Warum kann die CSU dann auf eine absolute Mehrheit in Bayern hoffen?
Steinbrück: Ich kann Christian Ude nur beipflichten. Die einzigen Ideen, auf die CSU ein Copyright erheben kann, sind das Betreuungsgeld und die PKW-Maut für alle. Für diesen Unsinn steht Seehofer. Es ist eine Politik, die an den Realitäten vorbei geht und die Mehrheit finanziell belastet. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Wählerinnen und Wähler das honorieren.
MZ: Wie viel Angst haben Sie vor einer Schlappe der Bayern SPD am Sonntag? Rückenwind für die SPD im Bund ist doch kaum zu erwarten nach der Landtagswahl in Bayern, oder?
Steinbrück: Die Erfahrungen der letzten Wahlen zeigen: Umfragewerte liegen häufig daneben. Ich bin sehr zuversichtlich. Die SPD ist im Aufwind. Ich gehe davon aus, dass sich das auch schon in Bayern zeigen wird.
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