Mittelbayerische Zeitung: Zeit des Umbruchs: Deutschlands Rolle in der Welt ändert sich. Das zu akzeptieren, wird ein schwieriger Prozess. Von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Wenn Bundespräsident Joachim Gauck heute die 50. Sicherheitskonferenz in München eröffnet, ist das bemerkenswert. Erstens, weil Gauck sich unter die Stimmen derer mischt, die ein stärkeres internationales Engagement Deutschlands einfordern. Zweitens, weil sowohl der runde Geburtstag der einstigen Wehrkundetagung als auch die Überlegungen zu Deutschlands Rolle in der Welt in das Jahr fallen, in dem wir des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedenken. Aber es ist richtig und wichtig, gerade jetzt darüber nachzudenken, welche Rolle die Bundesrepublik spielen sollte. Denn es muss eine andere sein als in der Vergangenheit. Die Krisen der Welt sind näher an die Europäische Union herangerückt und damit an Deutschland. Das war schon einmal so, als das ehemalige Jugoslawien implodierte und in der Folge Ethnien, Religionsgruppen und Nationen übereinander herfielen. Heute sind es mehrere Krisen, die gelöst werden müssen. Vor der Haustüre Europas liegt Afrika mit seinen Problemen, und die Menschen dort suchen ihr Heil immer mehr in der Flucht. Die EU wird nicht umhin kommen, sich über ihre Asylpolitik Gedanken zu machen, aber damit ist es nicht getan. Es geht darum, in den Ländern dafür zu sorgen, dass es weniger Grund zur Flucht gibt. Dazu braucht es eine andere Entwicklungspolitik. Aber es braucht auch Mut, militärisch Hilfe zu leisten, wenn es die Situation erfordert. Deutschland hat sich in Afrika bisher meist zurückgehalten und Frankreich in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik den Vortritt gelassen. Auf Dauer wird diese Taktik aber nicht aufgehen. Sowohl Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier haben das erkannt. Das ist richtig so. Auch wenn der Blick auf die Debatten der 1990er über eine deutsche Beteiligung auf dem Balkan zeigt, was da auf uns zukommt. Die Außenpolitik der Regierung Merkel bestand bislang vor allem darin, so zu tun, als gebe es sie nicht. Ja, die Bundeswehr ist im Auslandseinsatz, in Afghanistan, im Kosovo, sie hat Piraten vor der somalischen Küste gejagt. Aber deutsche Außenpolitik war vor allem Gipfeldiplomatie. Es gab und gibt gute Gründe, warum der Einsatz deutscher Soldaten im Ausland immer gut begründet und überlegt werden muss. Es hat nicht erst ein Gedenkjahr wie das laufende benötigt, um zu wissen, warum. Deutschland hat eine historische Verantwortung, der es gerecht werden muss. Aber es darf sich auch nicht hinter ihr verstecken. Die USA ziehen sich international zurück. Washington kann und will sich keine teuren Militäreinsätze mehr leisten. Zu hoch ist der Preis: Die Schulden halten das Land im Würgegriff. Mit jedem toten Soldaten sinkt die Kriegsbereitschaft der Bürger. Und jeder Krieg bringt weniger statt mehr Sicherheit, weil jeder Einsatz das Risiko terroristischer Vergeltung steigert. Aber nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Zahl der internationalen Konflikte eher gewachsen, denn gesunken. Es braucht weiter schlagfertige internationale Bündnisse. Und in ihnen kann Deutschland nicht weiter so tun, als würden seine Soldaten nur Brunnen und Schulen bauen, wenn das Gröbste vorbei ist. Das war bereits in Afghanistan ein fataler Irrglauben. Die Sicherheitskonferenz hat in diesem Jahr sehr drängende Themen auf ihrer Agenda: In der Ukraine droht ein Bürgerkrieg; mit dem Iran könnte erstmals ein Neuanfang gewagt werden; und in Syrien verhandeln erstmals alle Seiten über einen Frieden. Sie bietet die Chance, darüber zu reden, welchen Part Deutschland in einer Welt spielen muss, die so ganz anders ist, als die vor 100 Jahren, die aber durchaus Parallelen aufweist. Damals wie heute war sie dezentralisiert. Damals wie heute sind die Großmächte in vermeintlich regionalen Konflikten involviert. Siehe Syrien; siehe die Ukraine. Damals wie heute zeigt sich, dass die Bindekraft politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Staaten schnell endet, wenn es um Macht und Einfluss geht. Man mag den Kopf über die Bundeswehrreform schütteln oder die Pläne von der Leyens belächeln. Aber sie sind wichtig, weil Deutschland vor einer langen und vielleicht auch schmerzhaften Debatte steht. Nicht nur über die Art und den Aufbau seiner Armee.
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