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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Mitgliederschwund der Parteien

Regensburg (ots)

Wenn zum Ende des Jahres die sorgsam gehüteten Mitgliederzahlen der Parteien öffentlich gemacht werden, sorgt das regelmäßig für Sorgenfalten bei den Vorständen. Auch heuer hielt der Schwund derjenigen an, die in Parteien organisiert sind - und sich mehr oder weniger engagieren. Auch "Karteileichen" werden in den Statistiken mitgezählt. Es gibt viele Gründe für die anhaltenden Mitgliederverluste: Politik-, oder genauer Parteienverdrossenheit, Individualisierung, Überalterung. Auf der anderen Seite jedoch haben die Dagegen-Populisten Zulauf, etwa jene von der Alternative für Deutschland (AfD), die als einzige Partei in diesem Jahr einen nennenswerten Anstieg zu vermelden hatte, allerdings auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Auch spontane Massenbewegungen - gegen Stuttgart21, gegen Stromtrassen, gegen neue Autobahnen, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland - haben Konjunktur. Hatten die im Bundestag vertretenen Parteien vor 24 Jahren zusammen noch 2,3 Millionen registrierte Mitglieder, so sind es heute nur noch etwas über eine Million. Verloren haben die SPD, die Unionsparteien, Linke und Grüne ebenso wie die tapfer gegen den völligen Untergang kämpfende FDP oder die Piraten. Die einstigen Trendsetter beim Online-Datenschutz haben gar über zwei Drittel verloren. Insgesamt erodiert schleichend die Basis, die Verankerung und Legitimität der etablierten Parteien im Volk. Auf der anderen Seite ist die "Macht" dieser Parteimitglieder, oder sagen wir besser der Parteispitzen, enorm. Sie entscheiden über die Aufstellung von Kandidaten für die Parlamente, mitunter sogar über den Kanzlerkandidaten ihrer Partei. Oder darüber, wer in Berlin neuer Regierender Bürgermeister wird, wie die hauptstädtische SPD kürzlich. Schöne Parteiendemokratie. Der enorme politische Einfluss der etablierten Parteien steht im krassen Gegensatz zu ihrem Ansehensverlust. Na ja, von Angela Merkel einmal abgesehen. Die CDU-Vorsitzende surft regelrecht auf einer Welle der Popularität, die sie möglicherweise 2017 zu ihrer vierten Kanzlerschaft tragen könnte. Dass die Union nicht nur an Mitgliedern, sondern auch an Wählern verliert, wird im Glanze Merkels oft übersehen. Haben die etablierten Parteien, vor allem die großen Volksparteien - CDU/CSU und SPD - ausgedient? Liegt die Zukunft der Demokratie auf der Straße? Ist mehr direkte Demokratie die Lösung? Die Antworten auf solche Fragen sollte man sich nicht einfach machen. Die schleichenden Entwicklungen der vergangenen Jahre dürfen nicht achselzuckend zur Kenntnis genommen werden. Die Parteien müssen sich fragen, wie sie wieder und besser an die Bürger und Bürgerinnen herankommen. Dabei gilt das gewiss nicht einfach zu bewerkstelligende Motto: Dem Volk aufs Maul schauen, ihm jedoch nicht zum Munde reden. Mehr direkte Beteiligung der Bürger an bestimmten Vorhaben, nehmen wir nur die umstrittenen Stromtrassen, ist ganz sicher nötig. Einsame Entscheidungen von Planungsbehörden, die noch dazu von oben übergestülpt werden, sind von gestern. Wenn direkte Demokratie freilich nur "Dagegensein" bedeutet, wird es auf Dauer problematisch. Dabei muss man ebenfalls nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass politische Debatten, etwa im Bundestag, lange nicht mehr die Anziehungskraft haben, die sie in vergangenen Jahrzehnten hatten. "Straßenfeger" sind Regierungserklärungen der Kanzlerin oder wichtige Debatten schon lange nicht mehr. Die satirische "heute-Show" des ZDF hat Millionen mehr Zuschauer als die Live-Übertragungen bei Phoenix. Gebraucht wird beides. Bei den legendären Rededuellen mit Willy Brandt, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Kohl oder Franz Josef Strauß sah das noch anders aus. Dabei muss das kollektive politische "Lagerfeuer" via Bildschirm gar nicht mehr sein. Die digitalen Medien bieten viel mehr Möglichkeiten, sich zu informieren und einzumischen, als zu Zeiten der Altvorderen. Man muss es nur tun.

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