Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Einwanderungsgesetz
Regensburg (ots)
Chris Alexander muss sich derzeit vorkommen wie ein Guru. Zu dem kanadischen Einwanderungsminister pilgern derzeit viele deutsche Politiker, um sich das dortige System der Einwanderung erläutern zu lassen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der gestern Eckpunkte für ein deutsches Zuwanderungsgesetz präsentierte, war schon in Ottawa. Die Bundeskanzlerin auch. Von Kanada lernen heißt jedoch, die Zuwanderung nach relativ strikten wirtschaftlichen Bedürfnissen zu steuern. Auch Australien oder Neuseeland regeln nach diesem Muster den Zuzug von Ausländern. Doch ist das kanadische, vollständig elektronische Bewerbungssystem , das gleichsam einen Zuwanderungsautomatismus bedient, wirklich das Vorbild für Deutschland? Kanada hat übrigens gerade seine Zuwanderung neu justiert. Der reale Arbeitsplatz ist das entscheidende Kriterium für Zuwanderung, weniger irgendwelche Punkte, die man sich mit einer Qualifikation in bestimmten Berufsgruppen, Alter, Sprachkenntnissen, zusammensammeln kann. Man kann vom Land des Ahorns viel lernen, etwa wie man eine interessengeleitete Zuwanderungspolitik fährt - was dem Land übrigens niemand ankreidet. Doch Kanadas Einwanderungsregeln sind nicht eins zu eins auf Deutschland zu übertragen. Wir brauchen kein neues, kompliziertes Zuwanderungsrecht nach einem jährlich veränderten Punktsystem, sondern vor allem eine vernünftige Anwendung bestehender Gesetze. Freilich müssen die Regeln zusammengefasst und entrümpelt werden. Darin hat Oppermann recht. Doch geregelte Zuwanderung, zu der wir uns hoffentlich durchgerungen haben, darf nicht einseitig und schon gar nicht als Allheilmittel unserer demografischen Probleme betrachtet werden, sondern muss Teil eines ganzen Bündels von Maßnahmen sein. Die bessere Ausbildung von jungen - und auch nicht mehr ganz so jungen - Menschen, die bereits in Deutschland leben, steht dabei ganz oben auf der Agenda. Egal übrigens, ob ihre Muttersprache Deutsch, Türkisch, Arabisch, Russisch oder sonst was ist. Man soll lieber Kinder statt Inder ausbilden, hat der frühere CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, einst gesagt - und wurde ausgelacht. Dabei hatte er mit dem Kern seiner Forderung durchaus Recht. Dass wir in der Bundesrepublik über eine Million junge Leute haben, die ohne Schul- und Berufsabschluss ins Leben entlassen werden, ist ein Skandal. Nur leider spricht kaum noch einer darüber. Es wird einfach hingenommen. Zweitens braucht Deutschland eine wirkliche Willkommenskultur. Wie bürokratisch und herzlos viele Ausländerbehörden mit Zuwanderern umgehen, ist unwürdig. Hinzu kommt, dass die Zahl von gut und sogar hoch qualifizierten Menschen, die bei uns arbeiten und leben wollen, zwar leicht zunimmt. Doch die meisten der internationalen Spitzenleute zieht es eher in die USA oder nach Großbritanien. Und dies nicht nur der Sprache wegen. Die sogenannte Blue Card jedenfalls, bei der Einwanderer ein hohes Mindestgehalt und einen Hochschulabschluss vorlegen müssen, ist bereits ein "Punkte-System deluxe". Aber leider keines, das sonderlich attraktiv ist. Drittens muss sich die Gesellschaft ernsthaft Gedanken machen, ob und wie sie das Reservoir von Hunderttausenden Flüchtlingen künftig nutzen will. Bislang wird unterstellt, dass diese Menschen irgendwann doch wieder in ihre Heimatländer zurückgehen müssen. Man hält sie deshalb auch von Arbeit und Ausbildung fern, stellt davor zumindest sehr hohe Hürden. Aber ist das wirklich klug? Aus Angst vor Pegida, Islam- und sonstigen Ausländerhassern mag die Union das brisante Thema kaum anfassen. Doch das ist kurzsichtig. Die allermeisten derer, die wegen Krieg, sozialer Not oder aus anderen zwingenden Gründen zu uns kommen, würde gern hier lernen und arbeiten. Man muss ihnen nur die Chance dazu geben. Und für diejenigen, die nur auf Sozialhilfe aus sind, sollte es ohnehin kein Zuwanderungsrecht geben
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