Mittelbayerische Zeitung: Olympische Nabelschau
Der Sport droht sich im Rennen um Spiele in Deutschland abermals selbst ein Bein zu stellen. Leitartikel von Heinz Gläser
Regensburg (ots)
Natürlich Berlin! An Berlin würde kein Weg vorbeiführen. Der faszinierenden Idee eines völkerverbindenden Spektakels in einer gerade eben wiedervereinigten Metropole würde sich niemand entziehen können. Dachte der deutsche Sport. Eine stümperhaft vorbereitete, von Chaos geprägte und von Skandalen überschattete Bewerbungskampagne später waren alle Beteiligten schlauer. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) erteilte 1993 dem Zählkandidaten Berlin eine rüde Abfuhr und kürte Sydney, wo die Millenniums-Sommerspiele 2000 zum rauschenden Sportfest der Superlative wurden. Ähnlich selbstgefällig schickte man Leipzig ins Rennen um Olympia 2012, eine weltweit belächelte Bewerbung, die das IOC bereits in der Vorauswahl kassierte. Ja, es ist ein Kreuz mit den fünf Ringen. Die Botschaft war in beiden Fällen unmissverständlich. Deutschland ist nicht der Nabel der Sportwelt, auch wenn es sich bisweilen so geriert und oberlehrerhaft auftritt. Kürzlich fällte das Landgericht München ein Urteil zur Rechtmäßigkeit von Athletenvereinbarungen. "Schockwellen" werde dieses auslösen, hieß es. Mit Verlaub: Es ist äußerst fraglich, ob diese Wellen jenseits des Bodensees noch wahrnehmbar waren. Nun also ein neuer Anlauf. 2024, spätestens 2028 will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Dachverband Sommerspiele in Deutschland sehen. Genauer in Hamburg, wie er am Montag verkündete. Den Ausschlag für diese Entscheidung gab die trübe Aussicht, an der riesigen Front der "NOlympier" in der renitenten Hauptstadt zu scheitern. In der Hansestadt ist die Zustimmungsrate zwar auch nicht berauschend, aber wenigstens nicht unterirdisch. Der DOSB pokert erneut hoch. Denn bei Lichte besehen hat er nur einen Trumpf in der Hand. Das Ass heißt Thomas Bach. Dass seit eineinhalb Jahren erstmals ein Deutscher an der Spitze des IOC thront, ist die eigentliche Triebfeder hinter dieser Bewerbung. Die Herren der Ringe würden ihrem Chef Olympische Spiele als Krönung seiner Laufbahn nicht versagen, so das Kalkül. Das kann, muss allerdings nicht so sein. Thomas Bach ist auch ein Meister des Taktierens, erst diese Gabe hat ihn in diese Position befördert. Im vergangenen Mai hat das IOC die TV-Rechte in den USA von 2021 bis 2032 für die Rekordsumme von 7,65 Milliarden Dollar an den Sender NBC verkauft. Der ohnehin attraktive Kandidat Boston darf also hoffen, dass sich die notorisch geschäftstüchtigen Olympier für solche Gefälligkeiten revanchieren. Damit nicht genug, stellt sich der deutsche Sport erneut selbst ein Bein. Dass 2024 hierzulande die Fußball-Europameisterschaften über die Bühne gehen werden, bezweifelt ernsthaft niemand mehr. Der DFB hat dies geschickt und ohne Rücksicht auf (olympische) Verluste eingefädelt. Die Frage drängt sich geradezu auf: Binnen weniger Wochen zwei sportliche Großereignisse in einem Land, geht das? Und selbst wenn, ist es sinnvoll? Vorbei, vertan! Olympische Winterspiele in München 2022 wären die logische Wahl gewesen, mit einem schlüssigen, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Konzept, mit größtenteils vorhandenen Wettkampfstätten, mit der sportlichen Tradition und dem Charme des prosperierenden Voralpenlandes. Die Spiele wären der bayerischen Landeshauptstadt angesichts der verbliebenen Konkurrenz durch Peking und das kasachische Almaty wohl in den Schoß gefallen. Die Kampagne Münchens scheiterte am Unwillen der Bevölkerung, die dem IOC Korruption, Rücksichtslosigkeit, Gigantismus und Willfährigkeit im Umgang mit Diktaturen unterstellt. Nur mal so ein Gedanke: Würde der noch weit übler beleumundete Fußball-Weltverband Fifa den Deutschen die Chance auf ein zweites WM-Sommermärchen offerieren, sie würden es mit Kusshand nehmen.
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