Mittelbayerische Zeitung: Alles im Lot
Der Politische Aschermittwoch zeigt, dass die politische Mitte wieder zu alter Kraft zurückfindet. Leitartikel von Claudia Bockholt
Regensburg (ots)
Jetzt wird's hint' höher wie vorn. Das mag manch altgedienter CSU-ler angesichts des hymnisch gefeierten Gottkanzlers aus Würselen gedacht haben. Die sonst bespöttelte, schlimmer noch: bemitleidete SPD holt mit Martin Schulz doch tatsächlich mehr Leute auf die Bierbänke als die eingeführte Topmarke im weiß-blauen Politgeschäft. Da scheint aus bayerischer Perspektive etwas gewaltig aus dem Gleichgewicht geraten. Es wird aber auch andersherum ein Schuh daraus: Die politische Welt in Deutschland gewinnt auf beruhigende Weise ihre Balance zurück. Nach anfänglichem Hochmut dämmert den Christsozialen, dass dieser aus Brüssel zugewanderte Genosse keine schnell abgebrannte Wunderkerze ist. Im niederbayerischen Bierzelt hat Martin Schulz die Feuertaufe bestanden: Wer es als Sozi hier schafft, der schafft es ziemlich sicher überall. Sofern Schulz nicht vor dem 24. September schon siegestrunken über die eigenen Füße stolpert, könnte er den Popularitätsvorsprung vor Angela Merkel in den kommenden sechs Monaten durchaus halten. Selbst für Unions-Anhänger steckt darin zumindest eine gute Nachricht: Ein großer Teil der Wut- und Protestwähler, die Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Denkzettel verpassen wollen, wendet sich von der AfD ab und einem neuen Hoffnungsträger zu. Die Alternative für Deutschland hat ja nie nur am rechten Rand der Gesellschaft gefischt. Linke, SPD-ler, viele CDU-Wähler liefen ihr zu. Nun tönen die markigen Sprüche von Rechts plötzlich hohl. Frauke Petry braucht mittlerweile den smarten Österreicher Straché als Sidekick, um Stimmung zu entfachen. Und das, was Schulz mit der neuen Aufbruchstimmung nicht schafft, wird - ähnlich wie bei den Piraten - die Partei erledigen. Sie zerlegt sich zuverlässig selbst. Weil sie sich nicht von Parteifreunden am ganz rechten Rand distanzieren mag. Auch wegen mangelnder Erfahrung: In der Bundespressekonferenz musste die forsche Debütantin Petry gerade erst zurechtgewiesen werden, dass nicht sie die Fragen beantworten soll, die anderen Vorstandsmitgliedern gestellt werden. Vor allem aber, weil offensichtlich nicht gemeinsamer politischer (Gestaltungs-)Wille die Führungsspitze antreibt, sondern Machthunger und Eitelkeit, endet der Triumphmarsch der AfD jetzt in einer Sackgasse. Was narzisstische Persönlichkeiten an der Spitze eines Staates anrichten können, ist gerade als US-amerikanische Daily Soap zu erleben. Seit Donald Trump gewählt ist, kommt die Welt nicht aus dem mal sorgenvollen, mal ungläubigen Kopfschütteln heraus. Dass die CSU beim Politischen Aschermittwoch ausgerechnet Trumps Wahlspruch, abgeändert in "Bavaria First", vor sich herträgt, muss man wohl zu ihren Gunsten als fremdsprachige Variante des alten Lamentos über die Bürde des Länderfinanzausgleichs betrachten. Denn wem ist bei den Slogans des US-Präsidenten eigentlich noch zum Lachen zumute? Die politischen Verhältnisse, in der Welt und direkt vor unserer Haustür, haben sich binnen weniger Monate so rasend schnell verändert, dass einem ganz schwindlig - und manchmal etwas übel - wird. Nichts scheint mehr unmöglich. Rund um uns bröckeln Demokratien, schwinden Meinungs- und Pressefreiheit, regieren Willkür und Demagogie. Wenn Deutschland am 24. September zwischen einem geschickt emotionalisierenden Schulz und einer kalkuliert abwartenden Angela Merkel zu wählen hat, haben wir alle schon gewonnen. Beide garantieren, dass die Verfassung den Stellenwert behält, den sie über Jahrzehnte innehatte. Wer im Kanzlerrennen am Ende die Nase vorn hat, ist dann schon fast gehupft wie gesprungen.
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