Mittelbayerische Zeitung: So viel Lindner wie nie
Der FDP-Chef verhilft seiner Partei zu einem Höhenflug. Doch leicht zu haben sind er und seine Partei nicht. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Christian Lindner hat in seiner relativ kurzen Polit-Karriere Höhen und Tiefen erlebt. Vom verstorbenen ehemaligen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle zum obersten Parteimanager gemacht, trat Lindner vor sechs Jahren zurück. Offenbar wollte der Newcomer seinerzeit nicht dafür mitverantwortlich gemacht werden, dass sich die Liberalen nahezu sklavisch an die Union gekettet hatten. Er überließ es dem Trio Philipp Rösler, Daniel Bahr und Rainer Brüderle, für den vorhersehbaren Niedergang der FDP den Kopf hinzuhalten. Kühle analytische Fähigkeiten gepaart mit kluger Voraussicht und einem begnadeten Talent als Redner haben Christian Lindner in den knapp vier Jahren als außerparlamentarische Opposition zur unumstrittenen Nummer eines der FDP auf Bundesebene gemacht. Als die Krone der FDP Ende 2013 auf der Straße lag, griff Lindner beherzt danach. Es ist vor allem sein Verdienst, dass die deutschen Freidemokraten nach dem Wahldesaster vor knapp vier Jahren nicht in der Versenkung verschwunden sind. Lindner hat seine Partei aber nicht nur am Leben und im Gespräch erhalten, wurde zum Gesicht der FDP, hat unzählige Talkshow-Auftritte und Interviews hingelegt, sondern er hat auch für deren politische Wiederauferstehung gesorgt. Das bedeutete vor allem, die Partei aus der Koalitionsgefangenschaft der Union zu befreien. Das scheint, betrachtet man die Rekordergebnisse von Düsseldorf und zuvor Kiel, vollauf gelungen zu sein. So viel Lindner wie heute war noch nie. Dass es im Saarland und einigen Ost-Ländern nicht zum Wiedereinzug in den Landtag reichte und in anderen Bundesländern - etwa Bayern - für die FDP immer noch schwierig ist, hat man darüber schon fast vergessen. Die Liberalen unter Christian Lindner erlagen auch nicht der Versuchung, während der Flüchtlingskrise am äußersten rechten Rand zu fischen. Der junge Vorsitzende kritisierte zwar die einsame Entscheidung Merkels, weitgehend ohne Kontrollen Tausende Kriegsflüchtlinge ins Land zu lassen. Doch er verfiel nicht in rechtspopulistische Töne, wie sie die AfD anschlägt. Auch der fast schon diktatorischen Forderung nach einer "Obergrenze" schloss er sich nicht an. Der Parteichef verhalf den Liberalen mit seinem unabhängigen Kurs zu einem ungeahnten Höhenflug. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird die Partei sogar bereits wieder zum Regieren gebraucht. Für eine mögliche Jamaika-Koalition an der Küste und für eine schwarz-gelbe Koalition im Westen. Zugleich jedoch liegt darin auch das Dilemma von FDP und Lindner. Sollte die Partei wiederum nur als Regierungs-Anhängsel der CDU wahrgenommen werden, dann würden die alten Vorurteile neue Nahrung finden, wonach es sich um eine Funktionspartei handele, die nur scharf auf Posten und Dienstwagen sei. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem frischen liberalen Selbstbehauptungswillen einerseits und der Verlockung, mitregieren, mitgestalten zu können, andererseits. Der selbst aufgestellte Maßstab für Lindner lautet: echter Politikwechsel. Sollte es dazu nicht kommen, werde man in die Opposition gehen, statt Ministerämter zu besetzen. Was genau er darunter versteht, sagte er bislang jedoch nicht. Lindner machte die FDP auf jeden Fall flexibler. Die Partei ist inzwischen offen für Ampel, Jamaika oder gar sozialliberale Bündnisse. Nur, so leicht zu haben wie in den Jahren zuvor, ist die FDP nicht mehr. Lindner muss seine Partei in möglichen Koalitionsverhandlungen so teuer verkaufen, wie es nur geht. Die, aus FDP-Sicht, schlechten Erfahrung im Bund sowie in Bayern als Juniorpartner der Union, haben Wirkung hinterlassen. Sowohl in Kiel als auch in Düsseldorf stehen sehr harte Koalitionsverhandlungen ins Haus. Das dürfte auch für den Bund im Herbst gelten, sollte die FDP zum Regieren gebraucht werden. Knackpunkte, die sich bereits heute abzeichnen, sind die innere Sicherheit und die Steuer- und Wirtschaftspolitik. Lindner ist harte Opposition für die marktorientierte FDP lieber als windelweiches Mitregieren.
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