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Mittelbayerische Zeitung: Arznei gegen die Landflucht
Die Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes entlastet die Mediziner, mutet aber den Patienten längere Wege und Wartezeiten zu. Leitartikel von Bernhard Fleischmann

Regensburg (ots)

Die Ärzte sind zum überwiegenden Teil glücklich mit der Reform des Bereitschaftsdienstes - zumindest, solange sie an ihr eigenes Wohlbefinden denken. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man sich unter Medizinern umhört. Aus der Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), die diese Struktur erdacht hat und umsetzt, ist die Neuorganisation ein erheblicher Fortschritt und der Garant dafür, dass der Bereitschaftsdienst flächendeckend überhaupt aufrechtzuerhalten ist. Sobald die Ärzte die Perspektive des Bürgers und potenziellen Patienten einnehmen, wird das Bild diffiziler. Längere Wartezeiten nach dem Anruf bei der Nummer 116 117 scheinen sicher. Wer die Möglichkeit hat, eine der Bereitschaftspraxen an den Kliniken zu erreichen, der soll sich auf den Weg dorthin machen. Das ist für die Menschen außerhalb der Städte ungewohnt, Regensburger hingegen kennen das schon längst. Ihr Vorteil: Sie haben es nicht weit. Diese Reform birgt eine Reihe von unangenehmen Nebenwirkungen. Wer vom Land wegen einer zwar notwendigen, aber unaufregenden Behandlung zeitraubende Fahrten und Wartezeiten in Kauf nehmen muss, für den ist das künftige System lästig. Hinzu kommt: Zumindest in der Startphase kann es durchaus geschehen, dass die notwendigen Kapazitäten der mobilen Ärzte falsch eingeschätzt wurden. Mit der Folge, dass manche Mediziner in der Bereitschaftszeit kaum zu tun haben, andere dagegen atemlos durch die Nacht hetzen und es trotzdem nicht schaffen, alle Patienten zu besuchen. Letzteres ist schlimmer und sollte nicht passieren. Patienten, die mit starken Schmerzen die erlösende Spritze des Doktors herbeisehnen, werden kaum begeistert sein, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Anrufs und der Visite eine gefühlte Ewigkeit vergeht. Andererseits: Die KVB musste handeln, um Entwicklungen zu stoppen, die das ganze Bereitschaftssystem - und nicht nur das - gefährdet haben. Da sind zum einen die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Dort stauen sich bisweilen Wartende in bedenklichem Ausmaß - auch deshalb, weil viele Menschen sie mit Bagatellanliegen aufsuchen. Oder, wie es ein Mediziner ausdrückt: Jeder hält sich selbst für einen Notfall. Ärzte sehen das ganz anders. Die installierten Bereitschaftspraxen müssen solche leichten Fälle von der Notaufnahme fernhalten, denn sie gefährden die Gesundheit schwer erkrankter oder verletzter Mitbürger. Das Hauptanliegen aber besteht darin, Ärzte überhaupt davon zu überzeugen, auf das Land zu gehen beziehungsweise dort zu bleiben. Wenn in der Landarztpraxis die Warteschlange bis zur Haustür hinausreicht, kann man sich ausmalen, unter welchem Stress und Zeitdruck dieser Doktor arbeitet. Und wenn dieser Arzt obendrein alle paar Wochen lange Bereitschaftsdienste übernehmen muss, dann ist er auf Dauer schlicht überfordert. Wenn wir weiterhin ein funktionierendes Bereitschaftssystem haben wollen, dann muss sich etwas ändern. Ob die Neuorganisation der große Wurf in diese Richtung ist, muss sich noch zeigen. Einen Versuch ist sie aber wert. Die Landflucht der Ärzte fügt sich in das in alle erdenklichen Lebensbereiche reichende Stadt-Land-Gefälle. Gleiche Lebensverhältnisse im ganzen Land sind ein hehres Ziel und erstrebenswert. Es kann aber nicht bedeuten, dass es überall von allem gleich viel gibt. Das können wir schlicht nicht leisten, Aufwand und Nutzen müssen in einer vertretbaren Balance bleiben. Glasfaser für jede Einöde, dazu eine gut ausgebaute und gepflegte Straße, dicht getakteter öffentlicher Nahverkehr in die hintersten Winkel - das ist zu viel verlangt. Eine zufriedenstellende ärztliche Grundversorgung hingegen nicht. Deshalb brauchen wir gute Bedingungen für Landärzte.

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