Krisenkanzlerin im Dauerstress
Die Corona-Krise hinterlässt tiefe Spuren. Der Nachfolger Merkels muss sich an deren Fähigkeit zur Krisenbewältigung messen lassen
Leitartikel von Reinhard Zweigler
Berlin (ots)
Nach neun Stunden nervenzehrender Videokonferenz mit 16 Länderchefs beziehungsweise -chefinnen können einem schon mal die Worte fehlen. So wie der seit Monaten im Dauerstress stehenden Bundeskanzlerin, der in der nächtlichen Pressekonferenz partout das Wort Hygiene nicht einfallen wollte. Die Corona-Krise hinterlässt, ganz zwangsläufig, auch bei den politischen Akteuren tiefe Spuren.Da sitzen Menschen aus Fleisch und Blut, mit Gefühlen und Erfahrungen, Stärken und Schwächen stundenlang vor Bildschirmwänden. Sie können irren. Das sind keine Bots, die von irgendwelchen Algorithmen ferngesteuert werden. Man muss Kanzlerin Angela Merkel und Co. für die jetzige Kärrnerarbeit nicht bemitleiden, man kann ihre verschärften Maßnahmen auch hart kritisieren. Doch etwas Respekt für die Merkel und Co., die versuchen der Corona-Krise Einhalt zu gebieten, wäre allerdings auch angebracht.Als Merkel vor 15 Jahren, damals auch ein wenig zu ihrer eigenen Überraschung, Bundeskanzlerin wurde, sagte sie den recht altertümlichen Satz, sie wolle Deutschland dienen. Das klang ein wenig nach - Vorsicht mit historischen Vergleichen, denn sie hinken immer. - Friedrich dem Großen, der sich als erster Diener seines Staates Preußen sah. Doch so etwas wie preußisch-protestantisches Pflichtbewusstsein können Merkel nicht einmal ihre härtesten politischen Konkurrenten absprechen. Die CDU-Frau und Pfarrerstochter aus der kargen Uckermark hat sich mit ihrem unaufgeregten, sachorientierten Politikstil weltweit einen guten Ruf erworben. Sie war und ist damit auch eine Art Markenbotschafterin für Deutschland.Das galt erst recht für die zahlreichen vorherigen Krisen in Merkels Amtszeit. In der dramatischen Finanzkrise 2008/09, als sie zusammen mit SPD-Finanzminister Peer Steinbrück - Einige mögen sich noch an ihn erinnern. - flott Sicherheit für die deutschen Sparguthaben versprach. Das hätte sie, genau genommen, gar nicht tun können, doch die Märkte beruhigten sich nach diesem politischen Signal wieder etwas.In der Euro-Griechenland-Krise wandelte die Währungs-Union ein paar Jahre später wiederum gefährlich nahe am Abgrund. Merkels, aufreizend langweiliges, Motto lautete damals, man müsse aus der Krise stärker herauskommen, als man hineingeschlittert sei. In den Folgejahren erlebte Deutschland tatsächlich eine starke Konjunktur und sprudelnde Staatseinnahmen. Dann brach allerdings Corona über uns herein und beendete brutal den Boom.Der, wenn man so will, Knick in Merkels Krisenmanagement war der anfangs leichtfertige Umgang mit der Flüchtlingsbewegung im Spätsommer 2015. Ihr flott dahin gesagtes "Wir schaffen das" suggerierte, dass es keine Probleme geben würde, wenn täglich zehntausende Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland kommen. In Wirklichkeit stellte dieser Ansturm jedoch den Staat, Länder, Kommunen, Behörden, die Bevölkerung vor riesige Herausforderungen, die zum Teil bis heute nicht bewältigt sind.Die lange Zeit sehr beliebte Bundeskanzlerin wurde in der Folge heftig attackiert, ausgebuht, als "Volksverräterin" niedergeschrien. Der Stern Merkels schien ein für alle mal unter zu gehen. Dass sie zwei Jahre später dennoch - zum vierten Male in Folge - die Bundestagswahl gewinnen konnte, hat offenbar auch mit ihren Stehauf-Qualitäten zu tun. Derzeit bröckelt ihr Ruf als Krisenmanagerin wieder etwas. Doch wer immer Merkel im Kanzleramt nachfolgt: Er wird an ihren Fähigkeiten zur Krisenbewältigung auf nationalem und internationalem Terrain gemessen werden.
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