Verrat an den Idealen der Demokratie
Kommentar zu Trump von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Das Eindringen radikalisierter Trump-Anhänger in den US-Kongress wirft viele Fragen auf. Allen voran, wer die Türen zum höchsten Heiligtum der amerikanischen Demokratie für den Mob geöffnet hat? Es kann kein Zufall sein, dass hunderte Randalierer so leicht Zugang zu dem schwer gesicherten Gebäude fanden.
War es ein Inside-Job? Gab es Anweisungen, die Trump-Fans gewähren zu lassen? Warum kam über Stunden keine Verstärkung? Wie kann es sein, dass gewählte Volksvertreter um ihr Leben bangten, während rechtsradikale "Proud Boys" Selfies im Kongress machten?
Gewiss mangelte es nicht an Hinweisen. Die Planungen der Rechtsradikalen ließen sich in den sozialen Medien in Echtzeit verfolgen. Vieles spricht dafür, dass die Sicherheitskräfte im Vorfeld den Auftrag erhielten, äußerste Zurückhaltung zu üben.
Keine Frage ist, wer den Aufstand angeführt hat. Donald Trump hetzte seine Anhänger kurz vor dem Sturm in einer Rede vor dem Weißen Haus auf. Viele haben sich durch die Ankündigung "wilder Proteste" nach Washington locken lassen. Und der Präsident machte nicht einen Finger krumm, als sein Stellvertreter samt beider Kammern im Kongress Schutz suchen mussten.
Seit seiner Abwahl hat Trump kein Geheimnis daraus gemacht, dass er die Ergebnisse der Wahlen niemals anerkennen will. Nachdem 61 Gerichte und der Supreme Court seine Behauptungen massiver Wahlfälschungen in das Reich der Fantasie verwies, bedrängte der Präsident lokale Verantwortliche die Wahlergebnisse nicht zu zertifizieren.
Als dies scheiterte, machte er Druck auf republikanische Gesetzgeber in den Bundesstaaten. Dann verlangte er wie ein Mafia-Boss von dem Innenminister Georgias, ihm die fehlenden Stimmen "zu finden". Zuletzt verlangte er von seinem Vizepräsidenten, die Auszählung der Wahlleute-Stimmen im Kongress zu blockieren.
Trump gelang es, 13 Senatoren und mehr als 100 Repräsentanten dafür anzuheuern, die legitimen Stimmen aus sechs Staaten anzufechten. Dafür werden Senatoren wie Ted Cruz, Ron Johnson oder Josh Haley für immer auf der Schandrolle der Nation stehen. Erst Recht nach den Ereignissen dieses 6. Januar, an dem zum ersten Mal in der Geschichte der USA, Aufständische den Kongress besetzten.
Die Hauptverantwortung für den Aufstand trägt der abgewählte Präsident, der den Angriff auf die amerikanische Demokratie höchstpersönlich angeführt hat. Kurz vor dem Sturm hetzte er seine Anhänger zum Marsch auf den Kongress auf. Wie gewohnt blieb der notorische Feigling selber im Weißen Haus.
Es spricht Bände, dass nicht Trump, sondern sein Vize-Präsident schließlich die Nationalgarde anforderte. Auf welcher Grundlage Pence dies tat, bleibt eines der vielen Rätsel dieses Tages. Denn eigentlich hat nur der Präsident das Recht dazu.
Trump sollte besser heute als morgen das Oval Office räumen. Oder nach dem 25. Verfassungszusatz aus dem Amt entfernt werden. Selbst zwei Wochen sind 14 Tage zu lang für einen Narzissten, der nicht davor zurückschreckt, seine eigene Partei mit in den Abgrund zu ziehen. Der Präsident ist ein Verräter an den Idealen der amerikanischen Demokratie, die unter Ächzen und Stöhnen den Stresstest der vergangenen vier Jahre überstanden hat.
Der Sturm des Kapitolhügels stellte das System der amerikanischen Selbstregierung hoffentlich zum letzten Mal auf die Probe. Die Wunden sind tief. Doch vielleicht hat Trump den Bogen diesmal überspannt. So groß das Chaos auf den Bildern ist, die um die Welt gingen, so klein ist die Zahl derer, die sich an der Randale beteiligten. Dies war kein zorniger Aufstand des Volkes, sondern das irre Spektakel von ein paar tausend aufgepeitschten Super-Fans.
Der Kongress unternahm den ersten Schritt zu Heilung als sich eine Mehrheit von Demokraten und Republikanern zusammenraufte, das Richtige zu tun: Noch in der Nacht nach dem beispiellosen Angriff die Wahl Bidens zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bestätigen.
Ein Trost am Ende dieses düsteren Tages mag die offizielle Bestätigung des Wahlsiegs Jon Ossoffs in Georgia sein, der für die Demokraten den zweiten offenen Senatssitz gewann. Damit wechselt die Mehrheit im Senat und macht unter anderem den Weg frei für nachhaltige Reformen des Wahlrechts. Es liegt nun an dem nächsten Kongress und der neuen Regierung, aufzuarbeiten, was sich an diesem Tag zugetragen hat, der eigentlich den letzten Schritt der friedlichen Übergabe der Macht markiert - der zentrale Akt, der Demokratien von allen anderen Regierungsformen unterscheidet.
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