Kasachstan spielt Putin in die Karten/ Die Unruhen verschaffen Moskau die Möglichkeit, das zentralasiatische Land enger an Russland zu binden. Der Westen darf nicht untätig zuschauen.
Regensburg (ots)
Eigentlich kommen die blutigen Unruhen in Kasachstan für Russlands Präsidenten Wladimir Putin zur Unzeit. Denn eigentlich war der Kremlchef damit beschäftigt, den Druck auf die Ukraine zu erhöhen. Vielleicht sogar hätte er bei den diese Woche anstehenden Gesprächen mit der Nato dem Westen auch einige Zugeständnisse abtrotzen können, etwa das, die Ukraine keinesfalls in das westliche Verteidigungsbündnis aufzunehmen.Allerdings spielen die anhaltenden gewalttätigen Proteste in dem großen zentralasiatischen Land dennoch Putin gewissermaßen in die Karten. Dass Präsident Kassym-Jomart Tokajew, der lange nur als eine Marionette des kasachischen Langzeit-Herrschers Nursulatan Nasarbajew galt, die militärische Unterstützung des russisch dominierten OVKS-Militärbündnisses einiger ehemaliger Sowjetrepubliken anrief, verschafft Moskau die Möglichkeit, direkt einzugreifen - und in der Konsequenz Kasachstan enger an Russland zu binden. Tokajew hätte durchaus die Alternative gehabt, ein anderes Bündnis um Hilfe bei der Niederschlagung der Proteste zu bitten, etwa die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), der neben Russland und Kasachstan auch China, Indien und Pakistan angehören.Bislang hatte Kasachstan, das mit dem Zerfall der Sowjetunion vor drei Jahrzehnten unabhängig wurde und seither autoritär regiert wird, relativ geschickt zwischen Russland, China und dem Westen jongliert. Auch westliche Unternehmen investierten in das rohstoffreiche Land. Raketen zur internationalen Raumstationen ISS starten auf dem Weltraumbahnhof Baikonur und landen in der kasachischen Steppe. Das riesige Land ist zudem Teil des chinesischen geostrategischen Projekts der neuen Seidenstraße, auf der Waren per Bahn von China bis nach Westeuropa und umgekehrt transportiert werden. Doch nun schlägt sich Tokajew klar auf die Seite Moskaus.Putin kommt das nicht ungelegen. Er will erstens Ruhe und Stabilität in dem Land an der Tausende Kilometer langen weitgehend unbewachten Südgrenze Russlands. Zweitens will der Kremlchef verhindern, dass sich ähnliche Proteste auch auf Russland ausbreiten. Und drittens wäre ein größerer russischer Einfluss auf Kasachstan ein weiterer Schritt zur Verwirklichung imperialer Ziele, bis hin zu einer Art politischen Wiederherstellung der einstigen Sowjetunion, die Putin vorschweben mag. Auch die viel stärkere Einbeziehung Kasachstans in die, ebenfalls von Russland dominierte, eurasische Wirtschaftszone könnte verwirklicht werden.Die - inzwischen zurückgenommene - Verdopplung der Gaspreise war offenbar nur der berühmte letzte Tropfen, der das Fass der Wut in Kasachstan zum Überlaufen gebracht hat. Zudem hat Präsident Tokajew mit der Entlassung der bisherigen Regierung und der Entmachtung von Ex-Präsident Nursabajew, der weiter in wichtigen Ämtern im Hintergrund die Fäden zog, Forderungen der Protestierer erfüllt. Gleichwohl dürften die Unruhen und das Chaos anhalten. Es könnte allerdings durch das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte eine Art Friedhofsruhe hergestellt werden. Die riesigen sozialen und politischen Probleme des Landes schwelen indes weiter.Dem Westen beschert Kasachstan indes ein äußerst schwieriges Problem. Der sofortige Stopp von Rüstungsexporten ist überfällig, aber nur ein Aspekt. Zugleich wäre die westliche Billigung der Doktrin der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, also auch im Fall von gravierenden Menschenrechtsverletzungen, wie Moskau sie durchsetzen will, ein Sieg für die imperialen Ambitionen Putins. Der Kremlchef will in seinem "Hinterhof" schalten und walten, wie er will. Aber das darf der Westen auf keinen Fall akzeptieren.
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